Ein Blick hinter die Kulissen von ›Manor Lords‹: Im Interview mit Andreas Moitzi aka Copeylius
Das sich seit Kurzem im Early Access befindliche Videospiel ›Manor Lords‹ erfreut sich bei Spielerinnen und Spielern großer Beliebtheit. In dem Aufbauspiel, das Spielelemente beliebter Vorgänger wie der ›Anno‹- oder ›Total War‹-Reihe sinnvoll erweitert, ist es Aufgabe unseres adligen Alter Egos, im ausgehenden Mittelalter ein funktionierendes Gemeinwesen zu errichten. Dabei werden die Mechanismen und Möglichkeiten der Dorf- und Stadtausrichtung als besonders „realistisch“ und „authentisch“ wahrgenommen, Aspekte des Spiels, auf die der Entwickler in Zusammenarbeit mit einem kleinen Kreis historischer Berater großen Wert gelegt hat.
Wir sprechen mit dem promovierten Mittelalterhistoriker Andreas Moitzi, der sich unter dem Nickname Copeylius auf Twitch und YouTube mit historischen Games beschäftigt und der bei der Gestaltung und Entwicklung der Spielelemente von ›Manor Lords‹ beraten hat, darüber, wie er zu dieser Rolle gekommen ist und wie ›Manor Lords‹ versucht, ein möglichst authentisch anmutendes Mittelalter zu inszenieren.
›Manor Lords‹ wird von Spielerinnen und Spielern zu Recht für die wunderschönen mittelalterlichen Dörfer gelobt, die sich errichten lassen.
Mittelalter Digital: Lieber Andreas, du beschäftigst dich ja schon seit geraumer Zeit mit Mittelalterinszenierungen in der Populärkultur. Wie bist du zu dem Thema gekommen? Und welche Aspekte sind dir bei deiner Beschäftigung mit dem Thema wichtig?
Andreas Moitzi: Tatsächlich beschäftige ich mich erst seit wenigen Jahren mit diesem Thema. Ich war früher selbst einer jener „Mittelalterfans“, die schlecht rekonstruierte Objekte in Videospielen kritisieren und darauf aufbauend ein Spiel auf seine „historische Genauigkeit“ beurteilen.
Mir fehlte der theoretische Zugang, das Grundverständnis, warum dieser Zugang kontraproduktiv, naiv und schlussendlich auch zu einfach ist. Im Grunde habe ich damit sogar das negiert, was ich im Zuge des Geschichtsstudiums gelernt habe, wenngleich ich nur wenige Lehrveranstaltungen zur Geschichtstheorie hatte.
Nachdem wir uns für eine Spielfigur entschieden und ein Wappen kreiert haben (oben rechts), gibt uns das HUD eine Übersicht über den Status unseres Dorfes inkl. der Zufriedenheit unserer Untertanen und der zur Verfügung stehenden Ressourcen.
Da ich aber in meinen Streams, in denen ich immer wieder historisierende digitale Spiele zeige, öfters gefragt wurde, was ich zur historischen Darstellung meine, begann ich mich mehr damit auseinanderzusetzen. Insbesondere die Erkenntnis, dass Videospiele politisch und demnach auch als Instrument zur Beeinflussung verwendet werden, zeigte mir die Brisanz dieser Branche.
Heute möchte ich Aufklärungsarbeit leisten, mit dem Fokus auf genau diese beiden Themen: Dem Umstand, dass ein historisierendes Videospiel nicht für die Vergangenheit einstehen kann, sondern mehr über das Geschichtsbild und -verständnis des Entwicklerstudios verrät; und, dass Spiele Storys und nicht Geschichte erzählen, weshalb sie sich zum Transport von Werten und Meinungen eignen.
Mittelalter Digital: Große Triple-A-Titel loben sich im Marketing selbst mit der profunden historischen Beratung, die in sie eingeflossen sei. Wie sind du und der erweiterte Kreis ursprünglich zu ›Manor Lords‹ gekommen? Unter welchen Umständen ist das Spiel entstanden? Und wie gestaltet sich eine historische Beratung in der Entwicklung eines Videospiels?
Andreas Moitzi: Ich gelangte durch Zufall bzw. durch meine Tätigkeit als Content Creator zu ›Manor Lords‹. Personen, die bereits Alpha Tester waren und sich in die Entwicklung einbrachten, kannten meinen Stream und dachten sich, dass ich durch meinen wissenschaftlichen Background etwas dazu beitragen könnte. Ich kann nur für mich sprechen, vermute aber, dass es bei anderen nicht viel anders war.
Möglich machte das die spezielle Personalstruktur, auf welche die Entwicklung von ›Manor Lords‹ aufbaute. Hinter ›SlavicMagic‹ verbirgt sich ein Entwickler, der auf die Hilfe anderer Personen angewiesen war. Ursprünglich war das Spiel im klassischen „Fantasymittelalter“ angesiedelt. Durch die Beteiligung von Personen mit Fachwissen änderte sich dieser Zugang jedoch drastisch. Nun werden teilweise jene Personen mit Fachwissen damit beauftragt, Lösungen für Probleme zu erarbeiten, neue Konzepte zu entwickeln oder ganz spezifische Umstände zu recherchieren.
Durch die Jahreszeiten hindurch ist unser Dorf unterschiedlichen Problemen ausgesetzt – im Winter benötigen unsere Dorfbewohnerinnen und -bewohner mehr Brennholz und die Landwirtschaft wartet nach erfolgter Aussaat auf den Frühling.
Mittelalter Digital: Gab es Aspekte des Spiels, die besonders in eurem Fokus standen? Musikalisch ist bspw. Neidharts von Reuental ›Maienzeit‹ aus dem 13. Jahrhundert adaptiert worden, also „echtes“ überliefertes Mittelalter. Und auch in die Gestaltung der Wohnhäuser mit ausladenden Gartenanlagen oder die Produktionsgebäude wie Sägewerke und Bauernhöfe ist viel Liebe ins Detail geflossen. Lag der Fokus damit vornehmlich auf der Sachkultur der Epoche?
Andreas Moitzi: ›Manor Lords‹ nutzt das Sichtbare als Immersionsfaktor, lässt es dabei aber nicht beruhen. Die materielle Kultur erlaubt es Authentizitätsgefühle zu fördern, bedingt sie aber nicht alleinig. Man kann Objekte bestmöglich digital rekonstruieren, wenn aber das Gesellschaftsbild des Spiels dem des 21. Jahrhundert gleicht und sich nicht dem des 14. Jahrhunderts annähert, wird es schwer, die passende Atmosphäre zu erschaffen.
Mit viel Liebe fürs Detail wurden die Wohnhäuser konzipiert, die jeweils über einen eigenen Garten verfügen können, in dem Gemüse angebaut oder Nutztiere gehalten werden können. Solche Arrangements sind vielfach nachgewiesen.
Deshalb ist es wichtig, neben der materiellen Kultur auch sozio-ökonomische, kulturelle, religiöse und andere Aspekte zu berücksichtigen, welche die Zeit, die man darzustellen versucht, ausmachten. Nichts davon lässt das Spiel damit „akkurat“, „authentisch“ oder „korrekt“ werden – sondern vermittelt maximal einen glaubhaften Eindruck für die Spielerschaft.
Mittelalter Digital: Unter der Fragestellung nach „Authentizität“ in populärkulturellen Inszenierungen des Mittelalters lässt sich oft, wie auch bei ›Manor Lords‹, nicht verhehlen, dass am Ende oft doch die Spielmechanismen die Spielgestaltung bestimmen. Als Aufbauspiel liegt bei ›Manor Lords‹ folgerichtig der Fokus auf wirtschaftlichen Abhängigkeiten, denen sich viele Aspekte unterordnen. So lässt sich im Spiel bspw. eine Kirche errichten, die natürlich für die Frömmigkeitspraxis der Zeitgenossen zentral war, im Spiel aber eine notwendige spielmechanische Voraussetzung dafür ist, „bessere“ Wohngebäude zu erhalten. Als Gebäude sieht die Kirche dann fertiggestellt im Dorfpanorama chic aus, und auch der Ton der Glocke lässt sich modifizieren – liturgische Praktiken oder die Alltagsfrömmigkeit der Dorfbewohner spielen aber in der Darstellung dann keine Rolle mehr. Waren solche oder ähnliche Aspekte Bestand eurer Diskussionen – oder sind sie gar vorgesehen für die Erweiterungen, die ›Manor Lords‹ noch erhalten soll?
Die Kirche ist aktuell das zentrale Gebäude unseres Dorfes – und sieht richtig toll aus. Gottesdienste oder Prozessionen unterbrechen den arbeitsreichen Alltag unserer Untertanen allerdings nicht.
Andreas Moitzi: Vorweg ist es wichtig zu berücksichtigen, dass vor kurzem das Spiel im Early Access erschienen ist und daher die spieltechnischen Grundelemente beinhaltet. Es gibt sehr viele Teilbereiche, die im Laufe der folgenden Entwicklung erweitert oder gar erst entwickelt werden. Deshalb muss man vorsichtig, wenn man den aktuellen Stand des Spiels betrachtet – es entspricht nicht dem Produkt, das es zukünftig sein will.
Davon abgesehen muss man sich vor Auge halten, dass ein historisierendes digitales Spiel nicht komplexe Systeme und Strukturen der Vergangenheit umsetzen kann. Zumindest nicht spielerisch. Deshalb ist der Ansatz des „Realismus“ in Videospielen ein widersprüchlicher. Ein Spiel kann die Komplexität der Realität nicht umsetzen, zugleich kann ein Spiel nicht die Vergangenheit wiedergeben und damit zeigen, „wie es wirklich war“. Es ist unumgänglich, dass es zu Vereinfachungen kommen muss, wenn man spielbaren und letztlich unterhaltsamen Inhalt schaffen möchte. Detailgrade können dabei helfen, führen aber in zu umfangreicher und belangloser Ausgestaltung eher zu Frust als zu Spaß.
Mit unserem Verwalter können wir durch unser Dort spazieren und die zahlreichen Details sowie das Treiben unserer Untertanen bewundern.
Mittelalter Digital: Anders als bekannte Titel wie ›Kingdom Come: Deliverance‹ oder ›Assassin’s Creed‹ versucht ihr für ›Manor Lords‹, ganz transparent aufzuzeigen, wo „Authentizität“ bei einem Videospiel anfangen kann und wo sie endet. Wieso ist euch diese Transparenz wichtig, wo doch die meisten Spielerinnen und Spieler da draußen ›Manor Lords‹ als sehr authentisch empfinden?
Andreas Moitzi: Es geht darum, ein frisches Mittelalterbild aufzuzeigen und gleichzeitig klar festzuhalten, wo die Grenzen des Machbaren sind. Jene „Authentizität“, die sich manche Spiele selbst zuschreiben, ist oftmals nur ein Marketinggag, mit denen Spielerinnen und Spieler gelockt werden sollen, die selbst das zugrundeliegende, theoretische Konzept von Geschichte und ihrer "Erschaffung" nicht verstehen. Das ist keineswegs als Vorwurf oder Angriff auf die Spielerschaft zu verstehen, denn sie sind selbst quasi die „Opfer“ in der Sache.
Die Landwirtschaft nimmt eine zentrale Stellung in der Versorgung unserer Gemeinde ein. Dutzende Leute sind mit der Aussaat, Ernte und Verarbeitung der Feldfrüchte beschäftigt.
Ihnen wird ein Produkt mit speziellen Eigenschaften vorgegaukelt, welches sich letzten Endes aber als Mogelpackung herausstellt. Weil die Spielerinnen und Spieler es aber nicht besser wissen, glauben sie das, was die Beschreibung und Berichterstattung eines Spiels vorgibt. Das will ›Manor Lords‹ vermeiden, indem es klar festhält, dass es sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert und Geschichtstheorie versteht, gleichzeitig aber kenntlich macht, dass es eben nicht zeigen kann, „wie es wirklich war“, sondern stattdessen eine möglichst glaubhafte Interpretation anstrebt.
Mittelalter Digital: ›Manor Lords‹ befindet sich ja, wie du bereits erwähnt hast, noch im Early Access und hat erst gerade in einer Beta das erste Update erhalten – fertig ist das Spiel damit also noch lange nicht. Seid ihr demnach nach wie vor noch beratend tätig für all jene Aspekte, die es bisher noch nichts ins Spiel geschafft haben?
Andreas Moitzi: Momentan stehen Bugfixes und Optimierungen im Fokus, damit die derzeitige Version des Spiels gut spielbar und unterhaltsam bleibt. In der Folge wird man sich an die Weiterentwicklung des Spiels machen. Die Zeit und personelle Umstrukturierung im Entwicklerteam werden zeigen, wie es dann insgesamt weiter geht.
Wie in jedem Aufbauspiel müssen sich Spielerinnen und Spieler um eine ausreichende Versorgung mit Ressourcen kümmern – Holzfäller stellen uns den wichtigsten Bau- und Werkstoff zur Verfügung.
Mittelalter Digital: Du hast dich abseits von ›Manor Lords‹ ja ausgiebig auch mit anderen Titeln auseinandergesetzt. Was würdest du dir für den Markt „historischer“ Spiele generell wünschen?
Andreas Moitzi: Einen sensiblen Umgang mit Geschichte. Verständnis dafür, dass das, was erstellt wird, einen Eindruck bei der Spielerschaft hinterlässt und somit das Bild prägt, das wir von vergangenen Zeiten haben. Das Bewusstsein, dass alles, was man erschafft und in die Öffentlichkeit trägt, auch politisch ist. Und natürlich, dass Studios, gerade auf den vorgenannten Punkt bezogen, ihre Spiele nicht als Machtinstrument und Sprachrohr verwenden, um fragwürdige Werte und Inhalte zu verbreiten. Das bleibt aber ein Wunschdenken, denn manche machen das ja ganz bewusst. Auf entwicklungstechnischer Seite, dass man Historikerinnen und Historikern mehr Raum gibt und ihnen zuhört.
Mittelalter Digital: Eine „fiese“ Frage zum Abschluss: Gibt es einen Aspekt in ›Manor Lords‹, den du unter dem Lable der „Authentizität“ als besonders gelungen empfindest, und einen, von dem du sagst, er müsste in einem der folgenden Updates dringend nachgebessert werden?
Andreas Moitzi: In vielen Bereichen könnte man nachschärfen. Es stellt sich eher die Frage, wie das stattfinden sollte. Wie zuvor angemerkt, lassen sich komplexe System nicht „korrekt“ oder „richtig“ darstellen. Allenfalls eine Annäherung ist möglich. Aus dieser Perspektive finde ich das zugrundeliegende Familiensystem gelungen, wenngleich Bewohnerinnern und Bewohner sich nicht fortpflanzen oder nicht altern. Das hat jedoch spieltechnische Gründe. Was momentan nur sehr rudimentär vorhanden ist, sind die Themen Religion und Glauben sowie der Prozess der Stadtwerdung – mit all seinen Besonderheiten und Schwierigkeiten.
Zur Dekoration lassen sich schmucke Wegkreuze errichten, die unser Dorfambiente aufhübschen. Einfluss auf unsere Dorfbewohnerinnen und -bewohner üben sie allerdings keinen aus.
Mittelalter Digital: Lieber Andreas, ganz lieben Dank für die vielfältigen Einblicke in die Hintergrundarbeit zu ›Manor Lords‹.
Das Interview führte Tobias Enseleit.