Mittelalter-Memes
Seit Beginn des Internets haben sich dort immer wieder neue Arten der Kommunikation etabliert. Eine ihrer bildlichen Varianten stellt das Meme dar, ein kompiliertes Medium aus in der Regel aus dem Kontext gerissenen Fotografien, Bildern, Filmen oder Animationen, mit dem humoristische, satirische oder kritische Inhalte verbreitet werden. Das thematische Spektrum ist unbegrenzt, und in den letzten Jahren haben auch zahlreiche Mittelalter-Memes den Weg in Foren, Chats, Social Media und mehr gefunden. Wir betrachten eine Auswahl von Memes, die alle auf demselben mittelalterlichen Artefakt basieren: dem Teppich von Bayeux.
Mittelalterliche Bildwelten in neuem Kontext: Eigentlich stellt der Teppich von Bayeux, eines der bekanntesten mittelalterlichen Kunstobjekte, die Eroberung (und deren Vorgeschichte) Englands durch den normannischen Herzog Wilhelm im Jahr 1066 dar. Doch um den Teppich hat sich seit einiger Zeit eine eigene Meme-Kultur entwickelt, welche Teile des Bildprogramms aufnimmt und in einem neuen Kontext arrangiert. Dabei kreieren die Memes, die wir uns im Folgenden anschauen, gar keine eigenen Inhalte, sondern persiflieren bereits vorhandene weitbekannte und viel genutzte Gattungsverteter.
Aus diesem Grund liegt der Rezeptionsanreiz einerseits insbesondere im Wiedererkennen von Inhalten (Nichtkenner werden wenig mit den Memes anfangen können), andererseits in der skurril wirkenden Montage aus Teilen des Bildprogramms des Teppichs von Bayeux und einer als altertümlich inszenierten Versprachlichung.
In der Internetkommunikation haben sich Motive, Floskeln und geflügelte Wörter (und Bilder) etabliert, die in verschiedenen Kontexten passend angebracht werden können. Eine der vielleicht bekanntesten Wendungen, auf denen Memes basieren, ist „Like a Boss“, das einem 2009 erschienenen Song mit Andy Samberg und Seth Rogen entnommen wurde. Die Phrase wird etwa auf Twitter als Hashtag oder in Foren verwendet, um Ereignisse zu markieren, auf die man stolz ist. Sie findet aber auch als humorvoller und ggf. satirischer Kommentar Verwendung, etwa wenn jemand souverän durch eine eigentlich peinliche Situation manövriert, ohne sich dabei etwas anmerken zu lassen.
Was heute der Boss ist, war damals der Lehnsherr.
Bei unglaubwürdigen Geschichten verlangt die Community oft nach Bildern, die das Geschilderte untrüglich beweisen sollen. Kein Wunder, ist das Netz doch voller Fakes. Dafür hat sich seit Jahren die Wendung „Pics or it didn’t happen“ eingebürgert. Auch in digitalen Zeiten glaubt man nur an das, was man auch sehen kann.
Was heute die Pics sind, waren damals die Bildnisse. König Harald, der eigentlich auf eine Reliquie einen Schwur leistet, fordert hier bildliche Beweise.
Verwandt mit dieser Wendung ist in Communities die Aufforderung an User, die sich als Frauen ausgeben, ihre Brüste zu zeigen – anderenfalls sollen sie sich davon scheren. „Tits or GTFO“ (Get the fuck out) wurde ursprünglich auf Plattformen als Beweis eingefordert, um echte User von Fakes zu unterscheiden. Heute kennt die Wendung insbesondere zwei Gebrauchskontexte: In männerzentrierten Communities wird sie an echte Frauen gerichtet, die auf diese Weise auf ihre Brüste reduziert werden, in allgemeineren Kontexten dient sie als generische Aufforderung, Behauptetes wasserdicht zu belegen.
Ein Glück, dass der Teppich von Bayeux auch Frauen darstellt. Auch hier ist wieder Harald federführend.
Nicht jeder hat das Glück, einen Partner zu finden: Mit der Wendung „Forever Alone“ wird dieser Umstand ganz prägnant auf den Punkt gebracht. Verwendung findet die Phrase insbesondere in Topics, die Beziehungs- oder Datingfragen behandeln, gerne dann, wenn ein User berichtet, dass eine Partnerschaft in die Brüche gegangen ist oder eine Angebetete kein Interesse an ihm zeigt.
Zwei Adaptionen derselben Wendung. Forever alone: Der Herrscher ohne Gefolge und der Mann ohne Frau. Tatsächlich ist der Begriff des Weibs mit Blick ins Mittelhochdeutsche gar nicht verkehrt gewählt (auch wenn dies den meisten Rezipienten vielleicht gar nicht bewusst sein wird).
Einer der bekanntesten Internetbegriffe ist "YOLO", eine Abkürzung für "You only live once", mit der ein aufregendes Ereignis kommentiert oder grob fahrlässiges Verhalten entschuldigt wird. Zum Ausdruck wird damit gebracht, dass man die Zeit, die man auf Erden hat, vollumfänglich und ohne Rücksicht auf etwaige Konsequenzen nutzen soll. Dass dies alles andere als mittelalterlich gedacht ist, stand einer Adaption nicht im Wege.
Kriegführen als Ausdruck eines aufregendes Lebensstils. Auch die Abkürzung Yolo wurde ins Deutsche übertragen.
Das Internet ist das Reich der Trolle. Ob inszeniert oder nicht, jeder User kennt Menschen, die gegen alles wettern, was ihnen vor den Bildschirm kommt. Nicht selten geschieht dies von einer überheblichen und arroganten Warte aus. Um in Diskussionen entsprechenden Comments den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat sich dort die Wendung "Haters gonna hate" etabliert. Ausgedrückt werden soll damit, dass es Menschen gibt, die losgelöst von jedem Kontext an allem etwas auszusetzen haben – verbunden mit der inhärenten Aufforderung, eben jene zu Gunsten einer gesunden Diskussionskultur komplett zu ignorieren.
Contenance wahren, insbesondere dann, wenn andere versuchen, einen Streit vom Zaun zu brechen. Was einem mittelalterlichen Herrscher nicht geschadet hat, hilft auch heute im Internet.
Sex sells – insbesondere im Internet. Vornehmlich auf männerzentrierten Plattformen finden sich daher Topics, in denen Bilder von (attraktiven und leicht- bzw. unbekleideten) Frauen getauscht oder kommentiert werden. Ein Gesichtsausdruck des Rappers Rich Boy, der 2007 eine MTV-Show co-moderierte und eigentlich einer Zuschauerfrage konzentriert lauschte, wurde für ein Meme mit der Wendung "Dat Ass" zweckentfremdet. Mit ihr lässt sich auf sehr eindrückliche (ganz gleich, ob diese besonders attraktiv, groß oder in anderer Hinsicht bemerkenswert sind) Hinterteile hinweisen – in aller Regel auf jene von Frauen.
Vom ursprünglichen Meme ist lediglich der Text in antiquierter Übersetzung erhalten. Stattdessen gibt es einen eindeutigen Zeigegestus auf einen Hintern, der gar nicht zu erkennen ist.
Der US-amerikanische Astrophysiker Neil deGrasse Tyson wurde Gesicht der weit verbreiteten Wendung "Watch out guys, we're dealing with a badass over here". Mit ihr werden in Diskussionen User gekennzeichnet, die überheblich und verletztend auftreten oder die sich als "harte Typen" stilisieren.
Raubritter und rauer Geselle: Badass des Mittelalters. In beiden Fällen ist durch die Auswahl der gestickten Miniaturen die charakteristische Handhaltung der Vorlage aufgenommen worden.
Darüber hinaus verstecken sich in Memes auch gerne Anspielungen auf populärkulturelle Werke, wie in diesem Beispiel, das (fast) jeder kennt:
Jedi sind ja nicht ohne Grund Ritter... Auch im Englischen wird versucht, die Sprache altertümlich erscheinen zu lassen.
Die Reihe ließe sich noch problemlos weiterführen, ganz gleich ob weiter in Richtung harmlos-humorvoller oder in Richtung rechtsnationalistischer oder internationaler Bildwelten. Aber bereits die wenigen Beispiele zeigen, wie kreativ bereits vorhandene Internetphänomene in ein "mittelalterliches" Gewand gekleidet werden können.
Dabei funktionieren Memes einwandfrei über ganz allgemeine Vorstellungen einer historischen Epoche, die über das Neuarrangement erhaltener Elemente und der (gewollt überzeichneten) Imitation sprachlichen Ausdruck ins Bild gefasst werden. Authentizität spielt hier weder eine Rolle noch wird sie eingefordert. Im Vordergrund steht die intertextuelle Rezeptionserfahrung von Usern, die aufgrund eines gewissen Grades an Komik auch ohne vertiefte Kenntnis der historischen Epoche an diesem geschichtskulturellen Phänomen ihre helle Freude haben können.