Erschlagend lesenswert: ›Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung‹ von Gerd Schwerhoff
Das aktuelle Bauernkriegsjahrjubiläum führt viele Menschen das erste Mal an dieses Thema heran. Einen wirklich umfassenden Einblick in die komplexen Geschehnisse und Hintergründe erhält man wahrscheinlich nur über eine jahrelange wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gegenstand. Zum Glück bietet Gerd Schwerhoffs ›Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung‹, das Ende 2024 bei C.H. Beck erschienen ist, einen ersten Einstieg, um sich in die Ereignisgeschichte des Bauernkriegs einzufinden. Doch wie gut funktioniert dieser Einstieg?
Obwohl sich die Hochphase des Bauernkriegs auf nur wenige Wochen des Frühjahrs 1525 konzentriert, ist es ein herausforderndes Unterfangen, die Ereignisse in der Zeit überblicksartig darzustellen. Das liegt einerseits an der heterogenen Quellenlage, insbesondere aber andererseits an der Fülle an Geschehnissen und Entwicklungen, die sich an vielen Orten insbesondere Süddeutschlands und den angrenzenden Regionen ereigneten und die wiederum nur vor dem gesellschaftlichen und kulturellen Horizont ihrer Zeit zu verstehen sind. Vor diesem Hintergrund ist die Charakterisierung der Ereignisse im Untertitel des Buches als „wilde Handlung“ durchaus treffend.
Eine Ereignisgeschichte über den Bauernkrieg zu schreiben, bedeutet also auch zahlreiche Figuren und Akteure, Orte und Regionen sowie deren vielfältigen Beziehungen zueinander zwischen einen Buchdeckel zu bringen – ein großes Problem, das auch der Autor an mehreren Stellen offen benennt, und das auch dadurch nicht vereinfacht wird, dass viele der Akteure und Orte für die meisten Leserinnen und Leser wahrscheinlich erst einmal nicht anschlussfähig sind.
So kennt man gemeinhin sicherlich große Städte wie Straßburg oder Freiburg oder hat schon einmal von Georg von Waldburg, Thomas Müntzer oder Götz von Berlichingen gehört, insbesondere aber die zahlreichen kleineren Städte und größeren Dörfer, die ihre Rolle wie die unzähligen Stadthonoritäten, Bauernführer oder Laienprediger spielten, werden für die meisten Leserinnen und Leser erst einmal nur reine Namen bleiben, die nach ihrer Erwähnung schnell wieder vergessen sind.
Dies ist aber kein Versagen in der Anlage des Buches oder im Ansinnen des Autors, eine möglichst vollständige Überblicksdarstellung über die Ereignisgeschichte des Bauernkriegs zu präsentieren, sondern vielmehr Resultat der hohen Komplexität des Themas. Anlage und Ansinnen des Buches sind vor diesem Hintergrund demnach gleichermaßen Fluch und Segen. Durchaus hilfreich sind die dem Buch beigegebenen Karten und Personenlisten, die bei der Orientierung helfen.
Eine kontextualisierende Ereignisgeschichte
Komplex sind auch die Hintergründe, die zum Bauernkrieg führen, und sie in Ansätzen nachzuvollziehen wahrscheinlich auch recht herausfordernd für Leserinnen und Leser, die sich ansonsten nie im Spätmittelalter oder in der Reformationszeit umgetan haben. Nichtsdestoweniger gelingt es Gerd Schwerhoff immer wieder die Ereignisgeschichte im Detail mit den darüber liegenden Entwicklungen zusammenzuführen und so die Geschehnisse nachvollziehbar zu kontextualisieren. Insbesondere die einleitenden wie die abschließenden Kapitel führen viele Fragestellungen und die zahlreichen Einzelaspekte konzise zusammen und geben dabei auch einen ersten Überblick über den Umgang mit und die Bewertung des Bauernkriegs in seiner Behandlung bis in unsere aktuelle Zeit hinein.
Hier liegt sicherlich die größte Stärke des Buchs für Leserinnen und Lesern, die sich dem Thema grundlegend nähern möchten. So erfahren sie differenziert, wie der Bauernkrieg vor der Folie der Reformation zu bewerten ist oder wie sehr Bewertungen wie die Revolution des gemeinen Mannes tragfähig sind. Insbesondere in diesen Aspekten kann Gerd Schwerhoff mit vielen falschen Vorstellungen des Ereignisses aufräumen und dabei gleichzeitig aufzeigen, wie heterogen sich „der“ Bauernkrieg in den verschiedenen Regionen darstellt, die er in Aufruhr versetzt hat.
Beeindruckend ist auch der Mittelteil des Buches, der sich dezidiert dann den Ereignissen des Bauernkriegs widmet. Hier versucht der Autor, die komplexen Entwicklungen nach regionalen Gesichtspunkten zu sortieren und darzustellen. Wie viel Arbeit in diesen vielen Seiten steckt, lässt sich für jeden und jede schnell erahnen, die ein Thema wissenschaftlich dargestellt haben. Gleichzeitig sind diese Kapitel dann aber auch der Teil des Buches, der für manch einen oder eine erschlagend wirken kann – denn die Fülle an Figuren, Orten, Geschehnissen und Beziehungen, die uns Gerd Schwerhoff hier präsentiert, ist wirklich enorm und wird vielleicht dazu führen, dass sich bei der Darstellung des dreizehnten Bauernhaufens in Hintertupfingen jemand verführt sieht, ein paar Seiten zu überspringen.
Aber noch einmal: Wenn dies der Fall sein sollte, ist dies in der Komplexität des Gegenstandes begründet. Schwerhoff schafft es nämlich über die gesamte Länge des Buches die zu behandelnden Themen möglichst anschaulich, mitunter sogar spannend darzustellen. So bleibt es den Rezipienten und Rezipientinnen überlassen, zu entscheiden, wie tief sie ihren Einstieg in das Thema wagen wollen. „Durchhalten“ lohnt sich aber in jedem Fall – denn nach der Lektüre hat man einen fundierten und kontextualisierenden Überblick über den Bauernkrieg präsentiert bekommen, ein mehr als solides Fundament, sich anderweitig mit dem Thema zu beschäftigen oder darüber zu sprechen.
Fazit
Für wen ist also Gerd Schwerhoffs Mammutwerk als Lektüre geeignet? Auf jeden Fall für alle, die den Anspruch verfolgen, sich einmal tiefergehend mit dem Thema „Bauernkrieg“ zu beschäftigen. Wer allerdings einen ersten oberflächlichen Überblick sucht, wird mit ›Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung‹ wahrscheinlich überfordert sein – oder kann sich auf die einleitenden wie abschließenden Kapitel konzentrieren, um die großen Leitlinien kennenzulernen. In jedem Fall ist Gerd Schwerhoffs Buch ein lesenswerter wie schwergewichtiger Begleiter im Kontext des hiesigen Bauernkriegsjubiläums.
Alle weiteren Informationen findet ihr auf der Webseite des Verlages C.H. Beck.