Kunst des Spätmittelalters im neuen Gewand: Im Interview mit Dr. Melanie Prange
Seit August 2024 wird das Diözesanmuseum Rottenburg nach Monaten der Vorbereitung und Planung umgebaut. Dabei werden nicht nur die Räumlichkeiten saniert. Auch die rund 6.000 Objekte der Sammlung wollen strukturiert, begutachtet und gereinigt werden, um ab November 2025 in frischem Gewand einen Platz in der neuarrangierten Präsentation zu finden. Wir konnten mit Dr. Melanie Prange, der Leiterin des Diözesanmuseums, über Herausforderungen und Chancen des Umbaus Ihres Hauses sprechen und haben dabei zahlreiche Einblicke in den gar nicht so alltäglichen Alltag eines Museums erhalten.
Melanie Prange hat Kunstgeschichte, Geschichte und Anglistik / Amerikanistik an den Universitäten Stuttgart und Leeds (UK) studiert und wurde mit einer kunsthistorischen Arbeit zum Konstanzer Domschatz promoviert. Nach beruflichen Stationen im Landesmuseum Württemberg, bei den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg, in der Domschatzkammer Essen und im Landesarchiv Baden-Württemberg trat sie 2010 ihren Dienst als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Diözesanmuseum Rottenburg an. 2013 übernahm sie dessen Leitung und wurde zur Diözesankonservatorin ernannt. In dieser Funktion ist sie Mitglied in zahlreichen diözesanen Gremien, u. a. der Kunstkommission. Neben der musealen Arbeit erfüllt sie einen Lehrauftrag am historischen Institut der Universität Stuttgart, Abteilung Landesgeschichte. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der sakralen Goldschmiedekunst sowie der spätmittelalterlichen Skulptur und Tafelmalerei Südwestdeutschlands.
Mittelalter Digital: Liebe Frau Prange, wer einmal eine Wohnung renoviert oder gar ein Haus umgebaut hat, wird eine gute Vorstellung vom Zeitaufwand und dem Stress haben, der mit so einem Unterfangen verbunden ist. Nun müssen Sie nicht nur Möbel rücken und Wände streichen, sondern auch noch die Kunstschätze Ihrer Sammlung sicher durch den Prozess bringen – wie herausfordernd ist so ein Unterfangen?
Melanie Prange: Unsere Sammlung ist vor allem für ihre großformatigen, vielfarbigen Tafelgemälde des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts bekannt. Gerade diese Kunstwerke sind für Bewegungen und Klimaveränderungen sehr anfällig. Außerdem besitzen wir eine Sammlung an historischen Gläsern von der Antike bis zu Neuzeit.
Es war eine große Herausforderung, diese Kunstwerke möglichst schonend zu demontieren und transportieren und dann noch einen geeigneten Platz im temporär eingerichteten Depot zu finden. Ich bin sehr froh, dass wir hierbei auf die Expertise unterschiedlicher Restauratorenteams zurückgreifen konnten, die alle Schritte gut mitgeplant und durchgeführt haben. Aber aufregend war und ist das Ganze immer noch…
Geduldig lassen die Exponate den Umzug über sich ergehen und warten im Depot auf ihren neuen Einsatzort.
Mittelalter Digital: Was waren die Gründe, im August 2024 mit dem Umbau zu beginnen, und bietet der Umbau auch Chancen, die Sammlung anders zu präsentieren oder neue didaktische Konzepte umzusetzen?
Melanie Prange: Das Museum wurde vor fast 30 Jahren eröffnet. In dieser Zeit haben sich die Anforderungen an Museen grundlegend geändert. Damals wurden Dauerausstellungen quasi „für die Ewigkeit“ eingerichtet. Heute achtet man auf Flexibilität, um ein Haus für Besucher:innen auch dauerhaft attraktiv zu halten und immer wieder neue Perspektiven auf die Sammlung zu ermöglichen.
Ein weitere großer Unterschied zu damals ist, dass unser Museum Veranstaltungs- und Begegnungsraum geworden ist, wofür wir die Flächen ebenfalls flexibel nutzen wollen. Und: Die Museumsdidaktik vor 30 Jahren vermittelte Inhalte sehr voraussetzungsreich. Unser Ziel ist es, die Zugänge gerade zur Kunst des Mittelalters zu erleichtern und spannend zu gestalten.
Noch braucht es ein wenig Fantasie, um sich die fertigen Museumsräume vorzustellen.
Mittelalter Digital: Museen sind naturgemäß ortsgebunden. Gibt es Konzepte, die Sammlung oder einen Teil von ihr digital zu erschließen und damit für alle Interessierten zugänglich zu machen?
Melanie Prange: Als kleines Team machen wir Schritt für Schritt. Jüngst haben wir einen digitalen Museumskoffer für Familien erstellt, der es möglich macht, sich zu Hause mit den Themen Kunst und Farben auseinanderzusetzen. Da einige Bereiche unseres Gebäudes nicht barrierefrei zugänglich sind, werden wir VR-Brillen zur Verfügung stellen, durch die besonders herausragende Exponate virtuell erschlossen werden können. Mittelfristig ist vorgesehen, eine digitale Sammlung anzulegen. Das bedarf – realistisch gesehen – jedoch noch etwas Zeit.
Das Spätmittelalter begegnet im Diözesanmuseum in ganzer Farbenpracht – so inszenierten die Zeitgenossen die vielfältig ins Bild gesetzte Szene, in welcher der Engel ihre Aufgabe verkündet (besonders anschaulich ist die kleine Christusseele, die vom Himmel herabschwebt): Verkündigung an Maria, Allgäu / Tirol, 1510, Inv. Nr. 2.33, 2.34.
Mittelalter Digital: Religiöse Kunstschätze des Mittelalters sehen sich teilweise mit der Schwierigkeit konfrontiert, insbesondere jüngere Menschen immer weniger anzusprechen. Stehen Sie und Ihr Haus auch vor dieser Herausforderung? Und haben Sie Wege gefunden, auch eine jüngere Zielgruppe zu erreichen?
Melanie Prange: Die religiösen Kunstwerke sind für junge Menschen in der Tat schwer zugänglich, weil eine kirchliche Bindung nur noch selten vorhanden ist. Die Kunstwerke haben jedoch einen großen Pluspunkt: Ihre ästhetische Qualität. 2022 haben wir eine gemeinsame Ausstellung mit Studierenden des Modedesigns an der Hochschule Pforzheim konzipiert. Die Studierenden hatten alle noch nie mittelalterliche Tafelmalerei aus nächster Nähe gesehen. Sie waren fasziniert von den Farben und dem handwerklichen Aufwand für die Anfertigung der Kunstwerke.
Anbetung der Könige, Meister des Riedener Altars, Schwaben (Ulm?), um 1460/70, Inv. Nr. 2.13: Hohe Kunst erzählt Familiengeschichte. Weihnachten ist auch deshalb so erfolgreich, weil es die Geschichte eines Babys erzählt – überaus anschaulich schon vor mehr als 500 Jahren.
Im Gespräch wurde dann aber auch deutlich, dass es in den Bildwerken um allgemein menschliche Fragen geht: Woher komme ich? Was ist der Sinn meines Lebens? Ist nach dem Tod Schluss? Das sind Fragen, die die Menschheit wohl immer beschäftigen werden. Auf dieser Basis haben die Studierenden sich sehr unvoreingenommen und kreativ mit den Kunstwerken auseinandergesetzt.
Mittelalter Digital: Gab es Exponate in Ihrer Sammlung, die Sie im Kontext des Umbaus vor Schwierigkeiten gestellt haben? Und bot der Umbau Gelegenheit, Exponate noch einmal neu oder unter anderen Fragestellungen zu untersuchen?
Melanie Prange: Im Prinzip stellen uns alle Exponate vor ein Problem, denn sie sind nicht dafür gemacht, oft bewegt zu werden, um eine flexible Fläche zu bekommen. Deswegen planen wir die Nutzung so, dass es im Museumsraum immer den mittelalterlichen Rahmen mit unserer Sammlung geben wird, vor dem dann aber viel Neues passieren darf.
Da wir einen inhaltlichen Rundgang unter verschiedenen Fragestellungen erarbeitet haben, haben wir jedes Objekt noch einmal auf seine Aussagekraft und seine Wirkung hin befragt. Das war ein langer Prozess. Wir haben die Exponate dadurch aber noch einmal ganz anders kennengelernt und Feinheiten entdeckt, auf die man bislang nicht geachtet hat. Für uns war das sehr gewinnbringend.
Zeitlos schön: Katharina von Alexandrien, Jörg Stein (Werkstatt), Ulm, um 1470, Inv. Nr. 1.284
Mittelalter Digital: Oft ist es ja so, dass ein Teil der Exponate einer Sammlung keinen Platz in der Ausstellung findet und im Depot auf seinen Einsatz wartet. Ist dies bei Ihnen auch der Fall? Und sorgt die Umstrukturierung dafür, dass nun zukünftig mehr oder andere Exponate ihren großen Auftritt erhalten?
Melanie Prange: Ja, auch wir können nicht alles zeigen, was die Sammlung hergibt. Es werden zukünftig auch nicht mehr Exponate zu sehen sein, weil das einzelne Objekt mehr Wirkungsraum erhalten soll. Aber in der Tat werden nun Kunstwerke Teil der Dauerausstellung, die noch nie oder für lange Zeit nicht zu sehen waren. Und: Vorrübergehend soll es ein Schaudepot geben, in dem man eine Übersicht über die Vielfalt an Kunstgattungen in unserer Sammlung erhält.
Blick ins Lager: Noch lassen sich die Bildmotive höchstens erahnen...
Mittelalter Digital: Fast jeder und jede hat in einer Sammlung sein oder ihr Lieblingsstück: Haben Sie auch eines? Oder haben Sie im Zuge des Umbaus ein bestimmtes Exponat noch einmal neu kennen- und schätzen gelernt?
Melanie Prange: Im Zuge der Neukonzeption ist mir besonders die Qualität unserer kleinen Objekte bewusst geworden. So gibt es z. B. eine Gruppe von kleinteiligen Alabasterreliefs, eine im Späten Mittelalter höchst exquisite Kunstform. Wie die Künstler den hellen Stein vor dunklen Hohlräumen inszeniert haben, ist beeindruckend.
Und manchmal sind es auch Kunstwerke, die vielleicht kunsthistorisch nicht zur ersten Klasse gehören, aber besonders berühren. Etwa eine kleine Skulptur der Anna Selbdritt mit Maria und Jesus auf dem Arm. Anna ist hier als pralle, liebevolle Mutter und Großmutter dargestellt – eine Szene voller Geborgenheit und menschlicher Nähe.
Maria mit dem Buch und das Christuskind auf dem Schoß seiner Großmutter Anna: Anna Selbdritt, Allgäu, um 1500, Inv. Nr. 1.31.
Mittelalter Digital: Am 9. November 2025 öffnet Ihr Haus im neuen Gewand die Pforten: Worauf können sich Besucherinnen und Besucher dann freuen?
Melanie Prange: Zunächst können sich die Besucher:innen auf einen eindrucksvollen Raum freuen: Das Museum befindet sich in der ehemaligen Karmeliterkirche von Rottenburg – ein barocker Bau, dessen Qualität man durch das Herausarbeiten von Feinheiten nun wieder besser nachvollziehen kann.
Die nüchternen Einbauten der 1990er Jahre werden nun durch stimmungsvolle Farbräume ergänzt, die den Objekten mehr Leuchtkraft verleihen als die ehemals weißen Wände. Außerdem erwartet die Besucher:innen ein inhaltlicher Rundgang, der die Sammlung als Ganzes erschließt. Für Familien gibt es eine besondere Tour mit Museumskoffer, in dem es viel zu entdecken gibt.
Kleine Szene der Heilsgeschichte: Begegnung von Joachim und Anna an der Goldenen Pforte, Niederlande, um 1460, Inv. Nr. 2.5
Punktuell werden auch schon zeitgenössische Kunstwerke zu sehen sein, die wir in einen spannungsvollen Dialog zum Traditionellen setzen. Insgesamt könnte man sage: Es erwartet sie ein Haus, das in einem Erneuerungsprozess ist, sich öffnen und auch in der Zukunft relevant bleiben will. Der Umbau ist dabei einer von vielen Schritten.
Mittelalter Digital: Liebe Frau Prange, ganz herzlichen Dank für die Einblicke in die Gestaltung der Neupräsentation, auf die wir schon sehr gespannt sind! Wenn ihr nun etwas neugierig geworden seid, besucht gerne schon einmal die Webseite des Diözesanmuseums Rottenburg.
Das Interview führte Tobias Enseleit.