›UFFRUR! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25‹: Im Interview mit Dr. Ingrid-Sibylle Hoffmann
Gleich fünf Projekte umfasst die Große Landesausstellung 2024/25 ›500 Jahre Bauernkrieg‹ des Landesmuseums Württemberg, die sich anlässlich des Jubiläums den ereignisreichen Monaten widmet, in denen in vielen Teilen Deutschlands aufbegehrt wurde. Eines dieser Projekte stellt die die kulturgeschichtliche Ausstellung ›UFFRUR! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25‹ dar. Wir konnten mit der Kuratorin der Ausstellung, Dr. Ingrid-Sibylle Hoffmann, über die neue Präsentation sprechen, die ab dem 26. April 2025 im Kloster Schussenried in Baden-Württemberg zu sehen sein wird.
Dr. Ingrid-Sibylle Hoffmann mit ihren Kollegen bei der Sichtung von Exponaten in der Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums.
Über die Interviewpartnerin: Ingrid-Sibylle Hoffmann betreut seit 2014 als Sammlungsleiterin am Landesmuseum Württemberg das Referat Kunst und Kunsthandwerk des Mittelalters. Zuvor war sie an der Neuen Pinakothek, am Hessischen Landesmuseum Darmstadt sowie an der Universität Trier tätig und leitete die städtische Galerie Stihl Waiblingen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Altarretabel, Funktionen spätmittelalterlicher Artefakte, mittelalterliche Objekte in Kunstkammern sowie das Ausstellen mittelalterlicher Kunst seit dem 19. Jahrhundert.
Mittelalter Digital: Liebe Frau Hoffmann, der Bauernkrieg ist aktuell ja in vieler Munde. Es muss vor dem Hintergrund des großen Jubiläums, das vielerorts begangen wird, also nicht nach dem Grund für die Ausstellung gefragt werden. Wie beginnt man aber die Konzeption, wenn im Großen (allein das Landesmuseum Württemberg realisiert ja ganze fünf Projekte) und im Kleinen (im Hinblick auf die Sonderausstellung, die Sie inhaltlich mitgestaltet haben) so viele Menschen an einem Thema beteiligt sind?
Key Visual Ausstellung ›UFFRUR!‹.
Ingrid-Sibylle Hoffmann: Es war tatsächlich ein längerer Prozess, bis wir aus den zentralen Themen und Ideen, die wir zum Gedenkjahr ›500 Jahre Bauernkrieg‹ vermitteln wollten, die verschiedenen Projekte entwickelt hatten. Es gab dazu Workshops mit Kolleg*innen aus den verschiedensten Abteilungen des Landesmuseums Württemberg (LMW), durch die sich nach und nach herauskristallisierte, welches Format für welche Themen und welche Zielgruppen am besten geeignet sein könnte.
Ein Grundgedanke dabei war, dass wir ins ganze durchs LMW repräsentierte Gebiet hineinwirken wollten. Darüber hinaus war uns wichtig, den Bauernkrieg sowohl kulturhistorisch zu behandeln als auch aktuelle Anknüpfungspunkte zu bieten. Dies führte zum einen zu den Ausstellungen ›PROTEST!‹ im LMW in Stuttgart und ›UFFRUR!‹ in Bad Schussenried in Oberschwaben, und zum anderen zum mobilen Format ›UFFRUR!... on the road‹. Darüber hinaus wollten wir Inhalte ortsunabhängig vermitteln, wofür sich ein Social-Media-Projekt anbot – so entstand ›LAUTseit1525‹. Und natürlich sollte es wie bei den meisten Ausstellungsprojekten des LMW eine Mitmachausstellung für Kinder im Jungen Schloss geben, die thematisch mit dem Bauernkrieg-Projekt verbunden ist: ›ZOFF‹.
Je nach Spezialisierung wirkten wir Kolleg*innen am jeweils passenden Projekt oder an mehreren Projekten mit. Als Mittelalter-Kunsthistorikerin war ich für die kulturhistorische Ausstellung ›UFFRUR!‹ prädestiniert. Im „Kleinen“ bestand das kuratorische Team für diese Ausstellung aus zwei Kurator*innen und zwei (zeitweise für das Projekt tätigen) wissenschaftlichen Volontär*innen. Nach der Konzeptionsphase, in die mein Kollege Marco Veronesi seine Perspektive als Historiker und ich meinen Kunsthistorikerinnen-Blick einbrachten, wurden die einzelnen Themenbereiche unter uns vier aufgeteilt und jede*r war – in Abstimmung mit den anderen – für seine „Räume“ verantwortlich.
Der Ausstellungsort: Kloster Schussenried, Luftbild Klosteranlage.
Mittelalter Digital: Ausstellungsort ist die einstige Prämonstratenserabtei Schussenried, die auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Welche Rolle spielte das Kloster während des Bauernkriegs?
Ingrid-Sibylle Hoffmann: Das „Schicksal“ des Klosters Schussenried ist typisch für die Geschehnisse in vielen Klöstern im deutschen Südwesten: Am 29. März 1525 stürmten aufständische Bauern das Kloster, plünderten die Vorräte und zerstörten Bücher sowie Archivbestände. Nach rund zwei Wochen Belagerung kehrte wieder Ruhe ein, das Kloster blieb vor vollständiger Zerstörung verschont.
Die Plünderung von Klöstern war ein charakteristisches Vorgehen der Bauernhaufen, um die eigene Verpflegung zu sichern. Archivbestände und Bücher wurden ebenfalls häufig vernichtet, nicht nur aus Hass auf den Klerus, sondern auch um die Dokumentation von Abgaben zu zerstören.
Weißenauer Chronik (Blatt VI): Plünderung des Klosters Weißenau durch ein Bauernheer.
Anhand von Kloster Schussenried zeigen wir zudem auf, dass schon lange vor dem Bauernkrieg die Bäuer*innen mit ihren Herren um ihre Rechte rangen: In der Ausstellung zeigen wir eine Urkunde aus dem mittleren 15. Jahrhundert, die einen Ausgleich zwischen der Schussenrieder Bauernschaft mit dem Abt des Klosters dokumentiert.
Mittelalter Digital: Mit der Wahl des Ortes wird auch eine thematische Schwerpunktsetzung einhergegangen sein, oder? Auf welche Aspekte legen Sie in der Ausstellung einen Fokus?
Ingrid-Sibylle Hoffmann: Tatsächlich konzentrieren wir uns weitgehend auf die Geschehnisse im deutschen Südwesten mit einem Schwerpunkt auf Oberschwaben. Im 1. OG lernen die Besuchenden die Welt am Vorabend des Bauernkrieges kennen, während im 2. OG der Konflikt im Fokus steht. Für Letzteres spielen die ›12 Artikel‹ sowie die ›Weißenauer Chronik‹ als herausragende Quellen, die in der weiteren Umgebung von Bad Schussenried entstanden sind, jeweils eine zentrale Rolle.
Ausstellungsansicht.
Mittelalter Digital: Die inhaltliche Gestaltung einer Ausstellung ist das eine, die optische Gestaltung das andere. Bereits das digitale Storytelling-Projekt ›LAUTseit1525‹ geht auf Instagram neue Wege, indem es Ereignisse des Bauernkriegs als Graphic Novel vorstellt, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz erstellt wurde (hier findet ihr unser Interview mit Dr. Christian Gries zum Projekt). Auch ›Uffrur!‹ hat sich zum Ziel gesetzt, bestimmte Inhalte mittels der Hilfe von KI zu vermitteln.
Was war die Idee hinter dem Einsatz von KI, wie sind Sie bei der Erstellung der Inhalte vorgegangen und welche Aspekte sind Ihnen dabei wichtig?
Götz von Berlichingen, einer der acht mit KI generierten Protagonist*innen des Bauernkriegs, die in der Ausstellung auftreten. Der Ritter vom alten Schlag – kampflustig und den alten ritterlichen Tugenden verbunden – übernahm das Kommando über einen Bauernhaufen und belagerter die Festung des Würzburger Bischofs. Über seine Motive hielt er sich bedeckt.
Ingrid-Sibylle Hoffmann: Als zweites Standbein neben den über 150 Originalen kam in der Konzeptionsphase die Idee auf, Protagonist*innen des Bauernkriegs auftreten zu lassen und so Einblicke in Handlungen, Ideen und Gefühle von unterschiedlichen, am Konflikt beteiligten Menschen zu geben. Die Grundidee war, die ausgewählten acht Personen als „Kunstfiguren“ zu entwerfen, die zwischen der Zeit vor 500 Jahren, heute und eventuell einer möglichen Zukunft changieren.
Wir wollten explizit kein historisch „korrektes“ Erscheinungsbild, weil dies unserer Ansicht nach einen pseudo-authentischen Eindruck vermittelt hätte, folgen doch Sprache und Gestik zwingend aktuellen Gepflogenheiten, um für heutige Besuchende verständlich zu sein. Vielmehr sollten der Charakter und der Typus der jeweiligen Person greifbar gemacht werden – und dies in einer modernen Ästhetik.
Ausstellungsansicht.
Mit dieser Grundidee gingen wir ins Gespräch mit den Ausstellungsgestalter*innen von Jangled Nerves, die uns die Nutzung von bildgenerierender KI vorschlugen, um den konstruierten Charakter der Figuren deutlich zu machen. Wir sind dieser Idee gefolgt, da die Nutzung von KI in gewisser Weise mit der inhaltlichen Annäherung an die Figuren korrespondiert:
Unser Götz von Berlichingen, unsere Margarete Renner und ihre Mitstreiter*innen sind Deutungen der historischen Vorbilder. Ebenso wie wir von der (mehr oder weniger begrenzten) Quellenlage abhängig sind und auf dieser Basis Interpretationen der historischen Personen entwickeln, ist auch die KI abhängig von ihrem Trainingsdatensatz und generiert den ihr vorliegenden Daten ähnelnde „Interpretationen“. Die KI war für uns also Mittel, um zu einem optischen Erscheinungsbild der acht Kunstfiguren zu kommen.
Die Sprechtexte der Protagonist*innen dagegen wurden vom Ausstellungsteam in heutigem Deutsch verfasst. Die Stimmen wurden von professionellen Sprecher*innen eingesprochen und die Gestik von heutigen Menschen abgefilmt.
Ausstellungsansicht.
Mittelalter Digital: Museen stehen ja per se vor der Herausforderung, ihre Inhalte einerseits ansprechend, dabei aber andererseits nach wissenschaftlichen Maßgaben aufzubereiten. Nun ist der Einsatz von KI ja vielerorts aus verschiedenen Gründen kritisiert worden. Nichtsdestoweniger setzen immer mehr auch geschichtskulturelle Projekte auf KI. Wie sehen Sie zukünftig deren Einsatz im musealen Kontext?
Ingrid-Sibylle Hoffmann: Museen können und sollten sich meines Erachtens der Nutzung von KI nicht verschließen, sondern die Möglichkeiten, die sie bietet, sinnvoll nutzen. Das wird immer wieder Ausprobieren erfordern, was natürlich auch bedeutet, dass man das ein oder andere Mal „irrt“. Ich sehe Chancen in der Verwendung von KI für die Kulturvermittlung, für die wir sie in unserem Projekt nutzen, und auch im wissenschaftlichen Bereich – hier hoffe ich vor allem auf die „Zuschreibungs-KI“, die „Hände“ und Werkstattzusammenhänge erkennt. :-)
Ausstellungsansicht.
Mittelalter Digital: Ihre Sonderausstellung ›UFFRUR!‹ trägt den Untertitel ›Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25‹. Wie verhandeln Sie diese beiden Aspekte – Utopie und Widerstand – in der Ausstellung? Die Forderungen der Bäuerinnen und Bauern (und ihnen ihr zugeneigter Gesellschaftsgruppen) entstanden ja nicht aus dem luftleeren Raum, sondern konnten in Teilaspekten bereits auf eine längere Tradition zurückblicken, die vor dem Hintergrund reformatorischen Gedankenguts und in Form der bekannten ›12 Artikel‹ eine neue Wirkmacht erhielten.
Ingrid-Sibylle Hoffmann: Mit dem Untertitel wollen wir signalisieren, dass es sich beim Bauernkrieg nicht um eine bloße Revolte handelte, sondern einzelne Aufständische durchaus revolutionäre – zur damaligen Zeit eher utopische – Ziele verfolgten. Der Widerstand gegen diverse „Beschwernisse“ – die hohe Abgabenlast oder die Beschränkung der Nutzung von Gemeingütern (Allmende) – verband den Aufstand mit früheren Erhebungen der Landbevölkerung.
Bauer mit Geldtasche (Geldzehnt), Holzfigur aus dem Rathaussaal in Überlingen, 1534.
Durch das reformatorisches Gedankengut kam die Vorstellung hinzu, dass alle Menschen gleich seien, wodurch die Leibeigenschaft nochmal stärker in die Kritik rückte. Und schließlich gab es, allerdings nur vereinzelt, die Idee einer radikalen Neuordnung der Gesellschaft durch die Abschaffung von Adel und Klerus.
Mittelalter Digital: Politikverdrossenheit, Elitenverachtung, Diskussionen um Religion – viele Themen, die wir aus dem Bauernkrieg herauslesen, sind für uns heute wieder tagesaktuell. Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber wo sehen Sie Parallelen zu den heutigen Besucherinnen und Besuchern des Museums und ihren „Vorfahren“, die vor ziemlich genau 500 gelebt haben – und wie geht die Ausstellung, die ja ihre Relevanz für das Hier und Jetzt herausstreicht, mit diesen Aspekten um?
Ingrid-Sibylle Hoffmann: Die Ausstellung ›UFFRUR!‹ in Bad Schussenried konzentriert sich als kulturhistorische Ausstellung auf die Vorgeschichte und die Ereignisse von 1524/25 – dabei ist uns zunächst einmal wichtig, darzustellen wie stark sich die damaligen Verhältnisse von unseren heutigen Lebenswelten unterscheiden und ein Verständnis für diese fremde Vergangenheit zu wecken.
Gleichzeitig möchten wir natürlich Brücken bauen zu heutigen Erfahrungen. Dies geschieht insbesondere durch das Herausarbeiten von epochenübergreifenden Themen wie der Kampf um soziale Gerechtigkeit, das Streben nach Teilhabe oder die Forderung nach Respekt. Solche gesellschaftlichen Aspekte müssen immer wieder neu ausgehandelt werden, heute natürlich unter ganz anderen Voraussetzungen wie vor 500 Jahren.
Ausstellungsansicht.
Ein Phänomen ist mir im Zuge der Ausstellungsvorbereitungen besonders aufgefallen: die verbale Gewalt, man könnte auch sagen „Hass und Hetze“, die die Publizistik des frühen 16. Jahrhunderts – vor allem im Zusammenhang mit den religiösen Auseinandersetzungen der Reformation – prägte und die im Bauernkrieg dramatisch in körperliche Gewalt mündete.
Mittelalter Digital: Zum Abschluss eine persönliche Frage: Gibt es einen Aspekt oder ein Exponat der Ausstellung, der oder das Sie selbst besonders anspricht?
Ingrid-Sibylle Hoffmann: Als Kunsthistorikerin interessieren mich besonders die Kunstwerke, die wir in der Ausstellung zeigen können. Dabei faszinieren mich vor allem die „Menschenbilder“, hier die bildlichen Darstellungen von Bäuerinnen und Bauern. Interessanterweise waren Bilder des bäuerlichen Lebens im späten 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts, insbesondere in den vergleichsweise neuen druckgrafischen Techniken, weit verbreitet und vor allem beim städtischen Publikum äußerst beliebt. Wirklichkeitsgetreue Alltagsschilderungen oder gar Porträts sucht man allerdings weitgehend vergebens.
Vielmehr zeigen die Werke entweder idealisierte, meist aber satirische „Bauernbilder“ oder moralisierende Spottbilder von „bäurisch“-derben Menschen. Diese Druckgrafiken dienten der Selbstvergewisserung der in der herkömmlichen Gesellschaftsordnung überlegenen Bevölkerungsgruppen und ihrer Gesellschafts- und Moralvorstellungen, was m. E. auch belegt, wie stark in der Umbruchszeit um 1500 um die gesellschaftlichen Positionen gerungen wurde.
Weißenauer Chronik (Blatt I): Geografischer Überblick über das Gebiet um das Kloster Weißenau.
Mittelalter Digital: Liebe Frau Hoffmann, herzlichen Dank für die Einblicke in die neue Ausstellung, die ab dem 26. April 2025 im Kloster Schussenried zu sehen sein wird. Wer nun neugierig geworden ist, findet alle weiteren Informationen zur Ausstellung und darüber hinaus hier.
Das Interview führte Tobias Enseleit.