Auf den Spuren des BODI: Im Interview mit Dr. Elke Nieveler
Wieviel Zeit, Fleiß und Herzensblut in die Konzeption und Erstellung einer Ausstellung fließen, das haben wir von Dr. Elke Nieveler erfahren, die als Kuratorin die Ausstellung ›Das Leben des BODI. Eine Forschungsreise ins frühe Mittelalter‹ im LVR-LandesMuseum Bonn mitgestaltet hat.
Woher wissen wir heute, wie Menschen im Frankenreich um das Jahr 600 gelebt haben? Wie kommen wir zu historischer Erkenntnis – und wo liegen ihre Grenzen? Wie gestaltet sich der Weg von akribischer Forschungsarbeit zu einer öffentlichkeitswirksamen Präsentation von Forschungsergebnissen? Und wer war eigentlich dieser BODI? Das schauen wir uns an.
Dr. Elke Nieveler ist seit 2012 wissenschaftliche Referentin für das Frühmittelalter am LVR-LandesMuseum Bonn. Sie hat in Bonn und Kiel Vor- und Frühgeschichte, Mittelalterliche und Neuere Geschichte sowie Klassische Archäologie studiert. Ihre Dissertation befasste sich mit merowingischen Besiedelungen im Erftkreis und im Kreis Euskirchen. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Fund- und Siedlungsgeschichte der Merowinger im Rheinland sowie merowingische Chronologie. Sie ist zudem Kuratorin der Ausstellung ›Das Leben des BODI. Eine Forschungsreise ins frühe Mittelalter‹, die bis zum 15. Oktober 2023 im LVR-LandesMuseum Bonn zu sehen ist.
Mittelalter Digital: Liebe Frau Dr. Nieveler, Ihre Sonderausstellung stellt einen fränkischen Krieger in den Mittelpunkt, der um das Jahr 600 lebte und dessen Name uns überliefert ist: BODI. Können Sie uns skizzieren, in was für einer Zeit BODI lebte?
Elke Nieveler: BODI starb um 600. Wie alt er wurde, bleibt ungeklärt, da sich Skelettreste, die anthropologisch untersucht werden könnten, nicht erhalten haben. Er lebte also in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, einer Zeit, in der das Frankenreich bereits konsolidiert war, die aber dennoch durch militärische Auseinandersetzungen, etwa in Norditalien, aber vor allem durch die heftigen Nachfolgekämpfe im Königshaus geprägt war.
Ein Blick in die Ausstellung.
Mittelalter Digital: BODI ist eine besonders spannende Figur, weil keine historiographische Quelle von ihm berichtet. Wir wissen heute nur von ihm, weil man vor über 50 Jahren in Bislich am Niederrhein sein Grab gefunden hat. Was hat man in diesem Grab gefunden, das so besonders ist – und wieso widmet sich viele Jahrzehnte nach diesem Fund eine Sonderausstellung BODIs Leben?
Elke Nieveler: Dank der akribischen Arbeit der Ausgräber wurden aus diesem vollkommen gestörten Grab zahlreiche Beigabenfragmente geborgen, die vor allem Auskunft über das wirtschaftliche Vermögen, weiträumige Kontakte, die militärische Funktion, den sozialen Status geben, darunter der Lamellenpanzer, der sicherlich nicht im Rheinland hergestellt wurde, ein kostbarer Schwertgurt und der goldene Siegelring.
Andererseits ist es nur eins von zahlreichen, reich mit Beigaben ausgestatteten Gräbern im Rheinland. In den letzten Jahren haben wir für frühmittelalterliches Fundgut aus Gräbern der Kriegerelite zahlreiche naturwissenschaftliche und restauratorische Methoden angewendet. Auf die Erfahrungen und Ergebnisse dieser Projekte konnten wir zurückgreifen, um selbst das fragmentarische Material aus BODIs Grab zum Sprechen zu bringen.
Rekonstruiertes Lebensbild des BODI.
Mittelalter Digital: BODIs Fundstelle war eingebettet in ein großes Gräberfeld, in dem sich zahlreiche weitere Artefakte verbargen. Können Sie uns etwas zu diesem Gräberfeld erzählen? War BODIs Grab, das heute die Nummer 39 trägt, besonderer als andere?
Elke Nieveler: Durch Ausgrabungen wurden 867 Gräber in Bislich archäologisch dokumentiert. Dennoch waren bereits zuvor durch Baumaßnahmen zahlreiche Gräber verlorengegangen. Sicherlich ist es nicht zu hoch angesetzt, wenn wir mindestens 900, vielleicht sogar 1000 Bestattungen, die vom zweiten Drittel des 6. Jahrhunderts bis in den Anfang des 9. Jahrhunderts angelegt wurden, annehmen.
Die Siedlung umfasste daher mehrere große Höfe mit Wirtschaftsgebäuden. Ob die Bevölkerungszahl während der gesamten Zeit annähernd gleich blieb, können wir erst nach der wissenschaftlichen Auswertung des gesamten Gräberfeldes sagen.
Blick in die Ausstellung.
Das Grab des BODI wurde zusammen mit weiteren großen, reich ausgestatteten Kammergräbern, die von Kreisgräben umgeben waren, im späten 6. / Anfang des 7. Jahrhunderts im Südwesten des Bestattungsplatzes angelegt. Dazu gehören Frauen- wie Männerbestattungen, deren Beigaben alle den wirtschaftlichen Reichtum und weiträumige Kontakte, vor allem in den Mittelmeerraum, belegen.
Mittelalter Digital: Eines der beeindruckendsten Exponate der Ausstellung ist der goldene Siegelring, der uns den wahrscheinlichen Namen des im Grab 39 bestatteten Mannes verrät: BODI. Welche Rolle spielten solche Ringe um das Jahr 600 und kommt es häufig vor, dass die Bestatteten auf diese Weise namentlich identifiziert werden können?
Elke Nieveler: Der Siegelring ist ein außerordentlicher Glücksfall, kennen wir doch goldene Siegelringe mit Namen im 6. Jahrhundert aus den Gräbern der Angehörigen der Königsfamilie. Im 7. Jahrhundert werden sie im westlichen Frankenreich gebräuchlicher, sind jedoch immer gebunden an reiche Gräber der Eliten und sind oft auch aus unedlerem Material gefertigt.
Siegelring mit dem Schriftzug BODI.
Mittelalter Digital: Außergewöhnlich ist auch der Lamellenpanzer, dessen Überreste in BODIs Grab gefunden wurde. Er wurde für die Ausstellung wunderbar rekonstruiert, und das LVR-LandesMuseum Bonn hat ihm ein eigenes Video gewidmet. Was zeichnet eine solche Rüstung aus und was verraten sie und die anderen Funde in seinem Grab über BODI und die Zeit, in der er lebte?
Elke Nieveler: Dass wir den Panzer rekonstruieren konnten, verdanken wir der akribischen Ausgrabungsarbeit vor 50 Jahren. Die Kollegen*innen haben vor 50 Jahren große Mengen unansehnlicher „Rostklumpen“ sorgfältig geborgen, unter denen sich erst nach dem Röntgen im Landesmuseum die Teile des Panzers zu erkennen gaben. Die Panzerlamellen lagen verstreut in der gesamten, vollkommen gestörten Grabgrube. Nur wenige Lamellen mit Lederverschnürung wurden noch zu Füßen des Toten, wo wahrscheinlich der Panzer bei der Bestattung niedergelegt wurde, bei der Grabung angetroffen.
Blick in die Ausstellung.
Nur durch die Bestimmung der Lamellentypen und der wenigen Lederverbindungen, die sich durch Korrosion erhalten hatten, konnten durch Vergleiche mit anderen Fundstücken aus ganz Europa Anhaltspunkte dafür gewonnen werden, wie der Bislicher Panzer konstruiert war. Vergleichsstücke stammen vor allem aus dem Mittelmeerraum, aus byzantinischen Siedlungen und Befestigungen und langobardischen Gräbern, aber auch aus awarischen Gräbern des Karpatenbeckens. Es handelt sich um eine hoch funktionale und – wie ich selber beim Tragen feststellen konnte – hoch flexible Schutzwaffe, die zur gleichen Zeit auch in Asien verwendet wurde.
Die silberne Schale aus dem Schatzfund von Isola Rizza, die ebenfalls in unserer Ausstellung als Leihgabe zu sehen ist, zeigt einen Angehörigen des oströmischen Heeres, der zu Pferd und mit Lamellenpanzer und -helm kämpfte. Der detaillierten Darstellung der Ausrüstung verdanken wir weitere Hinweise auf die Konstruktion solcher Panzer.
Lamellenpanzer stellen im Rheinland einen Ausnahmefund dar. Nördlich der Alpen sind sie generell eine kurzlebige Erscheinung in den Gräbern des späten 6. und frühen 7. Jahrhunderts.
Getragene Rekonstruktion des Lamellenpanzers.
Im Katalog zur Ausstellung beleuchtet der Artikel von Christian Stadermann anhand schriftlicher Quellen die Beziehungen des Frankenreiches zu Norditalien und die häufigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Franken, Byzantinern und Langobarden in durchaus wechselnden Konstellationen. Im späten 6. Jahrhundert sind vor allem die Könige des östlichen Reichsteils, zu dem auch Bislich gehörte, dort engagiert. Schriftquellen berichten von reicher Beute, die die Franken mit nach Hause brachten. Möglicherweise gehörte BODI zu den fränkischen Truppen und gelangte auf diesem Weg in den Besitz des Panzers.
Mittelalter Digital: Vieles weist darauf hin, dass BODI zur herrschenden Klasse seiner Zeit gehörte. Was lässt sich über die fränkische Kriegerelite um 600 sagen? Und welche Rolle spielen archäologische Funde, um Aussagen über BODI und seine Standesgenossen treffen zu können?
Elke Nieveler: Wie Laury Sarti im Katalog darstellt, sind militärische Verwandbarkeit und Erfolg generell Voraussetzung für soziales Ansehen im Frankenreich. Für Amtsträger sind sie Voraussetzung. So finden sich in Männergräbern vielfach Waffen, auch wenn davon auszugehen ist, dass viele Männer die meiste Zeit landwirtschaftlich tätig waren oder Güter verwalteten.
Archäologisch bestimmbar ist dabei oft nur die Spitze, Abstufungen anderer militärischer Funktionen sind nur schwer zu determinieren, vor allem weil auch die sich wandelnde Beigabensitte und die hohe Beraubungsquote der Gräber zu berücksichtigen sind.
Gute Anhaltspunkte für den gesellschaftlichen Anspruch an die Elite und ihre Lebensweise gibt zum Beispiel das von Venantius Fortunatus verfasste Lobgedicht auf Conda, einen hohen Amtsträger des fränkischen Königs. In diesem Gedicht finden sich zahlreiche Aspekte wie Kampfbereitschaft und militärische Erfolge zur Erreichung hoher Ämter oder Versorgen der Gefolgschaft durch Geschenke und Gastmähler, Themen, die auch in den Grabbeigaben aufgegriffen werden und die sich in der Ausstellungskonzeption wiederfinden. Nicht zuletzt deshalb haben wir das Gedicht am Anfang des Katalogs in deutscher Übersetzung abgedruckt.
Die archäologischen Objekte erlauben uns zusätzliche weitere Aussagen zur Lebensweise und umständen der großen Menge einzelner Personen, die nicht in den Schriftquellen auftreten. Archäologische Analysen zur Herkunft, Herstellungstechniken und ihre Entwicklung, Vorbilder und Modetrends von Objekten sowie zu Alter, Ernährung und Krankheiten der Bestatteten, die nicht Themen dieser wenigen Quellen sind, stellen einzigartige Daten für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des frühen Mittelalters bereit.
Mittelalter Digital: Wo Schriftquellen mehrheitlich durch Abwesenheit glänzen, können also archäologische Arbeiten und Methoden etwas Licht ins Dunkel der Geschichte bringen: Wodurch zeichnet sich der Arbeitsalltag von Archäologinnen und Archäologen insbesondere im Kontext von BODI aus und auf welche anderen Disziplinen ist man angewiesen, um verlässliche Erkenntnisse gewinnen zu können?
Elke Nieveler: Der Arbeitsalltag der Archäologen*innen zeichnet sich durch akribische Analysen, Vergleiche und Rekonstruktionen aus. Neben der Zusammenarbeit mit spezialisierten Restauratoren*innen ziehen wir je nach Fragestellung zahlreiche naturwissenschaftliche Dokumentations- und Analyseverfahren wie etwa digitale Mikroskopie, Röntgenuntersuchungen, DNA-Analysen, Isotopie oder Röntgenfluoreszenz hinzu. Informationen dazu hält das Forschungslabor der Ausstellung bereit, wo die Besucher*innen einzelne Methoden auch nachvollziehen oder ausprobieren können. Nicht zuletzt lebt aber die Frühmittelalterarchäologie auch vom Austausch mit Nachbardisziplinen wie der Geschichte und Sprachwissenschaft.
Auch die kleinen Besucherinnen und Besucher werden zu akribischer Analysearbeit angehalten.
Mittelalter Digital: Auf die archäologische Forschung hat die Sonderausstellung mit einem großen Mitmachbereich einen eigenen Schwerpunkt gelegt, in dem auch kleine Besucherinnen und Besucher forschen können. Wie sind Sie auf die Idee des interaktiven Forschungslabors gekommen?
Elke Nieveler: Interaktive Mitmachangebote konzipiert durch die Museumspädagogik sind seit Jahren Teil unserer Ausstellungskonzeptionen, da ein Großteil unserer Besucher Schulen und Familien mit Kindern sind. Mir war es wichtig, im Rahmen dieser Ausstellung, die ja die tägliche Arbeit der Archäologen*innen dokumentiert, unsere verschiedenen Methoden und Erkenntniswege aufzuzeigen und ein Stück dieser spannenden Arbeit am frühmittelalterlichen Material und der Faszination, die uns alle antreibt, weiterzugeben.
Ausprobieren und Mitmachen wird in der Ausstellung groß geschrieben.
Mittelalter Digital: Nun ist BODIs Grab mitsamt seiner reichen Ausstattung nicht das einzige, das in der Ausstellung vorgestellt wird. Welche Funde präsentieren Sie darüber hinaus? Und lässt sich mit Hilfe dieser ebenfalls das Profil der Bestatteten näher bestimmen?
Elke Nieveler: Ausgehend von den Fundfragmenten aus BODIs Grab präsentieren wir in den Themeninseln zahlreiche, oft kostbare und einzigartige Objekte aus ganz Europa, die uns geholfen haben, die Beigaben zu rekonstruieren und zu bewerten. Darunter etwa ein Panzer aus Slowenien, der erstmals außerhalb des Museums in Kranj gezeigt wird, die kostbare Silberschale aus Isola Rizza, vor allem aber die Funde aus Apahida und zahlreiche Siegelringe aus verschiedensten Sammlungen unter anderem dem Cabinet des Médailles in Paris.
Die Objekte der Ausstellung zeigen uns, dass in BODIs Grab Themen aufgegriffen wurden, die bedeutsam für die Darstellungen der Kriegereliten ganz Europas seit dem späten 5. Jahrhundert waren.
Mittelalter Digital: Vom Fund von BODIs Grab bis zur Ausstellung ist viel Zeit vergangen – ist der Fall BODI nun abgeschlossen? Oder wird an ihm und generell am Gräberfeld noch weitergeforscht?
Elke Nieveler: Die Erforschung unserer Sammlung hat nie ein Ende und ist ein bedeutender Teil unserer Arbeit. Aktuell erstellen wir einen wissenschaftlichen Katalog des gesamten Gräberfeldes, der als Grundlage der Erforschung des gesamten Gräberfeldes dienen soll. Vielleicht wird es dann auch einmal möglich sein, besondere Funde aus einem Bislicher Frauengrab oder einem Kindergrab auszustellen und sie in die frühmittelalterliche Kulturgeschichte Europas einzuordnen.
Unter dem Kölner Dom fanden Archäolog*innen das reich bestückte Grab eines Sechsjährigen. Durch Untersuchungen fand man heraus, dass der Knabe vergiftet und vielleicht Opfer eines höfischen Komplotts wurde. Anhand der reichen Grabbeigaben ist davon auszugehen, dass der Junge wahrscheinlich aus dem hohen fränkischen Adel stammte. Nach seinem Tod legte man ihm die Waffen eines Erwachsenen bei. Ebenso wurden Helm und Schild in Kindergröße gefunden, was den Fund zum bisher einzigen Grab mit kindgerechter Ausrüstung macht.
Mittelalter Digital: Liebe Frau Nieveler, zum Abschluss eine persönliche Frage: Gibt es ein Exponat in der Ausstellung, an dem Sie besonders hängen?
Elke Nieveler: Ich bin sehr, sehr dankbar für das Vertrauen, das die Leihgeber in uns gesetzt haben. Sie haben uns zahlreiche kostbare und singuläre Einzelstücke ihrer Sammlungen zur Verfügung gestellt.
Natürlich hängt man vor allem aber an den Dingen, die man selbst über Jahre begleitet und erforscht hat. Die Arbeit am Panzer und die zahlreichen persönlichen Kontakte bei der Erstellung der Rekonstruktion waren ein besonderes Erlebnis für mich, bei dem ich auch viel gelernt habe und an das ich immer gerne zurückdenken werde.
Nicht zuletzt aber hat mich die sorgfältige Arbeit der Ausgräber beeindruckt. Deshalb habe ich ganz bewusst auch die winzige Goldfolie und das winzige Granatplättchen ausgestellt, die nachweisen, dass BODIs Schwertgurt mit mehr als den vier erhaltenen Beschlägen verziert war. Wie präzise muss man gucken und arbeiten, um diese winzigen Stücke im Boden zu erkennen und zu bergen!
Das Interview führte Tobias Enseleit.