Making Truth: Spannungsfelder, Strategien und Figuren der Wahrheitsproduktion in der Vormoderne
Wo Institutionen und Personen in Widerspruch zueinander treten und Möglichkeiten der Gewinnung und Vermittlung von Wissen zunehmen, muss Wahrheit (wieder) hergestellt und (neu) wahrnehmbar gemacht werden. Dies gilt etwa für die Antikenrezeption des 9. Jahrhunderts, die im 12. und 13. Jahrhundert neuen Aufwind erfährt. Es gilt auch, wenn arabisches Wissen die lateinische Schriftkultur erreicht und im 13. Jahrhundert Universitäten gegründet werden. Neue Impulse geben aber auch die Erschließung zuvor unbekannter Handelswege oder die Veränderung medialer Bedingungen – etwa durch die europäische Papierherstellung oder den Buchdruck. Schließlich eröffnen Renaissancehumanismus und Reformation ihre eigenen Spannungsfelder der Wahrheitsfindung, bevor letztere im konfessionellen Zeitalter der Frühen Neuzeit aufgeht.
So ist der Wahrheitsproduktion der Vormoderne – entgegen verbreiteter Epochenklischees – ein dynamisches Moment zu eigen, das wir im Rahmen unserer Studierendentagung unter der Titelformel "Making Truth" gemeinsam untersuchen und diskutieren wollen. Mit den Stichworten "Spannungsfelder, Strategien und Figuren" wollen wir die Fragestellung, die wir ausdrücklich offen und anschlussfähig halten möchten, strukturieren.
Strategien der Wahrheitsproduktion und -behauptung sind vielfältig. Ihnen allen ist ein Aushandlungsmoment gemein und schließlich muss die dabei hervorgebrachte Wahrheit auch behauptet werden und Geltung erlangen. Um Prozesse der Wahrheitsproduktion zu beobachten, ist ein genauer Blick auf Institutionen und ihre Akteure, wie etwa Kathedral- und Klosterschulen, Universitäten, Konzilien und Gerichte, sowie auf deren spezifische Handlungsrahmen zu werfen. Gerade in diesen gleichermaßen konsens- wie konkurrenzgetriebenen Strategiefragen bieten sich immer wieder konfliktreiche Spannungsfelder, in denen Aushandlung nicht unbedingt friedlich stattfindet.
Mit dem Stichwort "Spannungsfelder" zielen wir dabei auf die spezifischen situativen Bedingungen von Wahrheitsproduktionen: Trotz ihres umfassenden Anspruchs ist die Frage nach Wahrheitsproduktion nicht in jedem Lebens- und Wissensbereich gleichermaßen relevant. Wir wollen untersuchen, an welchen Orten, zu welchen Zeiten und in welchen Kontexten Wahrheitsproduktion und -behauptung in besonderer Weise beobachtbar ist. Wo wird – neben offensichtlichen Bereichen der Wahrheitsproduktion, wie etwa der Rechtsprechung – Wahrheit in besonderer Weise verhandelt, beschworen, bezweifelt oder bestätigt? Wo wird sie Gegenstand agonaler Repräsentation oder konkurrierender Ansprüche?
Es ist naheliegend, dass konkurrierende Geltungs- und Repräsentationsansprüche auch in figurativer Darstellung inszeniert worden ist. In Texten, Bildern und Architekturen werden Geltungsansprüche artikuliert und nötigenfalls tritt die Wahrheit selbst als Personifikation ebenso attraktiv wie autoritativ in Erscheinung, sei es als Einzelfigur, sei es in größeren allegorischen oder narrativen Zusammenhängen. Dabei können Wahrheitsferne und -nähe sinnlich erfahrbar inszeniert sein.
Die Studierendentagung „Making Truth. Spannungsfelder, Strategien und Figuren der Wahrheitsproduktion in der Vormoderne“ wird von der Fachschaft des transdisziplinären Masterstudiengangs ›Medieval and Renaissance Studies‹ (MaRS) der Ruhr-Universität Bochum mit Unterstützung des in Gründung befindlichen ›Centers for Medieval and Renaissance Studies‹ (CeMaRS, Eröffnung am 17. Mai) ausgerichtet.
Der vorliegende Call for Papers richtet sich daher an Bachelor- und Masterstudierende aller Fächer, die sich mit der Erforschung der Vormoderne beschäftigen! Die Ergebnisse sollen als Open Access-Publikation erscheinen. Wir arbeiten daran, eine umfassende Reisekostenerstattung zu organisieren. Bitte schick bis zum 14. Mai 2023 ein einseitiges Exposé zu einem Thema deiner Wahl, einen kurzen Steckbrief und eine grobe Reisekostenaufstellung an: Sabrina.paehler@rub.de (Betreff: „Making Truth“).
Folgende beispielhafte Themenvorschläge bieten wir zur weiteren Ausarbeitung an, wobei natürlich auch eigene Entwürfe gerne gesehen sind:
• Prognostik und Prophetik als Methoden der Wahrheitsproduktion
• Körper als Ort der Wahrheitsproduktion
• Meinungsmache in Bild und Schrift
• Erkenntnistheorie im Kontext der Wahrheitsfindung
• Mediensysteme und Wahrheitsbildung
• Glaube als Wahrheit
• Sinneswahrnehmung und Erkenntnis
• Wege der Durchsetzung von Wahrheit
• Zweifel an „anderer“ Wahrheit?
• Synkretismen als Aushandlungsstrategie
• Kampf der Wahrheiten
• Wahrheit in der Rezeptionsgeschichte
• Gesten und Objekte
Bitte richtet inhaltliche Rückfragen an die Fachschaft MaRS: fsr-mars@rub.de.