Der Beste aller Ritter – Guillaume le Maréchal
Keine Gesellschaftsgruppe des Mittelalters ist so eng mit unserer Vorstellungswelt von der Epoche verknüpft wie die der Ritter. Einer ihrer bis heute prominentesten Vertreter ist der anglo-normannische Ritter Guillaume le Maréchal (ca. 1145-1219), hierzulande eher bekannt unter seinem englischen Namen William Marshal, der als Figur auch wiederholt Eingang in Spielfilme gefunden hat, zuletzt 2010 in Ridley Scotts ›Robin Hood‹. Guillaumes Leben ist die mittelalterliche "Vom Tellerwäsche zum Millionär"-Geschichte par excellence.
Denn als Guillaume als nachgeborener Sohn eines lediglich lokal bedeutenden Adligen geboren wurde, konnte noch niemand ahnen, dass er am Ende seines langen Lebens fünf englischen Königen gedient haben, in den Rang eines Earls aufgestiegen und Garant des Fortbestands der Königsfamilie sein würde. Seinen Aufsehen erregenden sozialen Aufstieg verdankt Guillaume einerseits den turbulenten und von Kriegen gezeichneten Umständen, andererseits aber insbesondere seiner physischen und moralischen Konstitution, die ihn erst zum gefeierten Turnierkämpfer, dann zum Prinzenerzieher und schließlich zum Besten aller Ritter werden ließ.
Diese Einschätzung entstammt freilich der ›Histoire de Guillaume le Maréchal‹, einer Lebensgeschichte Guillaumes, die dessen gleichnamiger Sohn kurz nach dem Tod des Vaters in Auftrag gegeben hat. Die illustre Mischung aus Biographie, Heldenepos, Heiligenvita und Schwank inszeniert den "Besten aller Ritter" natürlich auf ganz besondere Weise; nichtsdestoweniger genoss Guillaume insbesondere in seinen späteren Jahren hohes Ansehen bei seinen Zeitgenossen.
Zu diesen gehörten Figuren, die noch heute zu den bekanntesten des Mittelalters zählen: der englische König Richard Löwenherz, dessen Mutter Eleonore von Aquitanien, der französische König Philipp II. Augustus, Johann Ohneland, der bösartige Widersacher in vielen populärkulturellen Inszenierungen der Zeit, und viele mehr.
Dass der ursprünglich unbedeutende Guillaume Zugang zur High Society bekam, verdankt er grundlegend seinem Erfolg als erfolgreicher Turnierkämpfer, der ihm zu einem gewissen Reichtum, vor allem aber zu einem bekannten Namen verholfen hat, der ihm manche Tür öffnen sollte. Insofern lassen sich über die Beschäftigung mit Guillaumes Leben und Taten auch interessante Einblicke in die Bedeutung und Ausgestaltung des mittelalterlichen Turnierwesens gewinnen, das zu Guillaumes Zeit frisch aus dem Ei geschlüpft war.
Zwei kluge Monographien haben sich mit Guillaume beschäftigt, denen sich unsere Empfehlung diesen Monat widmet und die sich aufgrund ihrer Anlage auch für ein interessiertes Nicht-Fachpublikum eignen: Die eine, obwohl schon etwas älter nach wie vor überaus lesenswert, stammt aus der Feder des bedeutenden französischen Mediävisten Georges Duby, der das Leben Guillaumes in kulturgeschichtlicher Perspektive nachzeichnet und den Titel trägt ›Guillaume le Maréchal oder der beste aller Ritter‹. Die zweite Biographie ist vom englischen Mittelalterhistoriker Thomas Asbridge, der Guillaumes Leben und Wirken in seinem ›Der größte aller Ritter und die Welt des Mittelalters‹ facettenreich im Kontext seiner Zeit nachzeichnet.
Wer schon immer etwas über das Rittertum, die höfische Kultur, die englische und französische Geschichte des Hochmittelalters oder das Turnierwesen erfahren wollte, kommt um Guillaume und die ihm gewidmeten Monographien nicht herum.