›König der Turniere‹: Gelungenes Ritterabenteuer
Mit ›König der Turniere‹ von Juliane Stadler ist im November 2023 im Piper Verlag ein historischer Roman erschienen, der mit dem Ritterturnier ein Evergreen der Mittelalterrezeption zum Thema macht. Bereits der Titel verspricht brechende Lanzen, scheppernde Rüstungen und ritterliche Abenteuer – da kann ja eigentlich nichts schiefgehen, oder?
Der König der Turniere
Titelgebende Figur des Romans ist der älteste Sohn des berühmten Königs Heinrich II. von England, der junge König Heinrich (im Roman Henri), der als ältester Plantagenet-Spross nicht nur Scherereien mit seinem gleichnamigen Vater, sondern auch mit seinen streitbaren Brüdern hatte – allen voran der wahrscheinlich noch bekanntere Richard, der später als König den Beinamen Löwenherz erhalten wird.
In den 1180er Jahren, in denen die Handlung angesiedelt ist, ist dieser noch Herzog von Aquitanien und steht ebenso wie seine Brüder unter dem Pantoffel des Vaters, gegen den sie bereits erfolglos rebelliert haben. Das hat zur Folge, dass der junge König Heinrich – obgleich gekrönt und gesalbt – über keine territorialen Machtbefugnisse verfügt und nicht zuletzt deshalb sein Engagement auf das neu entstandene Turnierwesen richtet, das sich erst seit Kurzem insbesondere in Nordfrankreich etabliert hat.
Um diese Turniere möglichst erfolgreich zu bestreiten, hat der junge König eine schlagkräftige Turniermannschaft versammelt, die von dem qua Herkunft recht unbedeutenden Guillaume le Maréchal (engl. William Marshall, dt. Wilhelm Marschall) angeführt wird. Guillaumes Lebensgeschichte ist im Grunde die eines „mittelalterlichen Tellerwäschers“, der zum „Millionär“ wird, denn er nutzt das frühe Turnierwesen, um einen guten Ruf und ersten Reichtum zu gewinnen. Schließlich wird er sogar Prinzenerzieher und steigt in den Hochadel auf.
Doch weder Henri noch Guillaume sind die Hauptfiguren des Romans: Die wird dargestellt durch den fahrenden Ritter Erec de Lacône, der als draufgängerischer Habenichts mit seiner Truppe loyaler, aber verarmter Kumpanen versucht, Guillaumes Weg als erfolgreicher und anerkannter Turnierritter nachzugehen. Hier setzt die Handlung von Juliane Stadlers Roman ein, als die Gruppe um Erec von Geldnot getrieben ihre Turnierteilnahme immer waghalsiger gestaltet, um einen potenten Finanzier auf sich aufmerksam zu machen.
Aufmerksamkeit erregt Erec zudem bei der freiheitsliebenden Genovefa, die – mit einem weit älteren, aber immerhin gutmütigen Mann zwangsverheiratet – versucht, die engen gesellschaftlichen Räume, die ihr gegeben sind, möglichst weit auszunutzen. Es kommt natürlich, soviel sei verraten, wie es kommen muss – nach einigen spannenden wie dramatischen Umwegen treffen sich die Wege Erecs und Guillaumes…
Erfrischend und kurzweilig
Juliane Stadlers Roman strotzt weder von einer schweren inhaltlichen Tiefe, wie man sie in manchen Professorenromanen findet, noch verliert er sich in zu vielen beschreibenden Details. Auch wenn es hier gute Beispiele von Romanen gibt, die beides in Formvollendung und zum Vergnügen der Leserinnen und Leser bieten, ist diese Unbeschwertheit ein großer Pluspunkt von „Der König der Turniere“, die sich auch in einer stets treffenden Bildsprache auf dem Papier widerspiegelt.
Wir haben uns beim Lesen schnell an unterhaltsame Filme wie ›Ritter aus Leidenschaft‹ mit Heath Ledger erinnert gefühlt, einerseits wegen des übergreifenden Themas des Ritterturniers, andererseits aufgrund der Figurenkonstellationen, die hier und da Überschneidungen zum Spielfilm aufweisen – auch wenn die Autorin im Podcast bei Epochentrotter angibt, dort keine Anleihen genommen zu haben.
Wo sie aber Anleihen genommen hat, das macht Juliane Stadler im Nachwort ihres Romans transparent. Dort nennt sie die Forschungs- und Quellenliteratur, die sie für ihre Recherche verwendet hat, ein aus fachwissenschaftlicher Sicht sehr lobenswerter Zugang, die Genese der eigenen Arbeit zu kontextualisieren. Hier sind insbesondere die Arbeiten des großen französischen Mediävisten Georges Duby sowie des englischen Historikers Thomas Asbridge zu nennen, die sich beide in Biographien mit dem Leben Guillaume le Maréchals, des „besten aller Ritter“, auseinandergesetzt haben.
Auch ohne die Nennung der Fachliteratur im Nachwort kann man ihre Verwendung im Roman regelrecht spüren, versuchen beide Historiker in ihren Arbeiten die Begeisterung der mittelalterlichen Zeitgenossen für das aufkeimende Turnierwesen für ein modernes Publikum begreiflich zu machen. So ist es weniger ein Anachronismus als ein Arbeiten an der Forschungsliteratur, wenn Juliane Stadler in ihrem Roman etwa ebenfalls von Teams spricht, die sich um einen Anführer scharen. Kleine Kapitel, in denen das Turniergeschehen wie bei einem modernen Fußballspiel von einem im Baum sitzenden Zuschauer kommentiert und moderiert werden, denken die in der Forschung grundgelegte Analogiebildung zwischen mittelalterlichem und aktuellem Mannschaftssport dann zu Ende.
Eine gelungene Gratwanderung
Historische Romane, die ausreichend Anknüpfungs- wie Identifikationspunkte für eine moderne Leserschaft bieten müssen, um in ihrer Rezeption erfolgreich zu sein, haben stets den Balanceakt zwischen einer als „echt“ empfundenen Authentizität und modernen Lesegewohnheiten zu meistern. Das gelingt Juliane Stadler auch in anderen Aspekten.
Positiv hervorzuheben, ist der quellengestützte „Clou“, eine Intrige gegen Guillaume le Maréchal, der am Hof des Jungen Königs nicht nur Freunde hat. Um diesen strickt die Autorin große Teile ihrer Handlung, in der die fiktiven Protagonisten reibungslos aufgehen – das erfreut bei der Lektüre auch den Historiker.
Irritationen könnte hingegen die sehr modern dargestellte Protagonistin Genovefa hervorrufen, die sich in ihrer Inszenierung insbesondere an ein modernes und aufgeklärtes weibliches Publikum richtet. Anders als in schwächeren Romanen verlässt sie aber so gut wie nie über Gebühr die „realistischen“, sprich zeitgenössischen Rahmenbedingungen, avanciert bspw. nicht selbst zum Ritter oder übernimmt anderweitig Männerrollen. Dass sie in Erec dann auch einen „modernen“ Gegenpart findet, lässt das Szenario nie implodieren – und ist für einen historischen Roman mehr als legitim.
Das betrifft zudem auch andere Beziehungsmodelle als heterosexuelle, die ebenfalls für die Handlung bereichernd Eingang in den Roman gefunden haben. So ist auf der Beziehungsebene zwischen den Figuren „für jeden etwas dabei“, ohne dass der Roman sein historisches Geflecht zu sehr verbiegen muss.
Auch hier ist sehr zu loben, wie offen die Autorin in ihrem Nachwort mit eben diesem Thema umgeht, indem sie aufzeigt, welche Gedankengänge bei der Entstehung der weiblichen Figuren in den Roman eingeflossen sind. Das würde man sich als Fachwissenschaftler als Minimalstandard im Medium wünschen.
Einen kleinen „Mangel“ gibt es dann – jedenfalls aus fachwissenschaftlicher Sicht – doch, und der betrifft die Verwendung der Herkunftsnamen der Figuren, die grundlegend eine andere Qualität als Familiennamen haben. So sollten Herkunftsnamen prinzipiell nicht in der Figurenansprache eingesetzt werden (bspw. „Wie geht’s euch, de Lacône“ vs. „Wie geht’s euch, Erec?“). Bei „exotischeren“ Namen aus Fremdsprachen wie dem französischen oder englischen irritiert uns das als Leserinnen und Leser nicht – würde man eine Figur als „Nürnberg“ oder „Berlin“ ansprechen, wahrscheinlich hingegen schon.
Die überschaubare Varianz mittelalterlicher Vornamen macht eine Unterscheidung bei Figuren desselben Namens notwendig, und man muss ehrlicherweise betonen, dass diese „falsche“ Verwendung von Herkunftsnamen im historischen Roman gebräuchlich ist und mitunter auch in der Fachwissenschaft so vorgenommen wird (insbesondere in der Altgermanistik bei der Unterscheidung von Heinrich von Morungen und Heinrich von Veldeke, die eben der Kürze wegen als Morungen und Veldeke bezeichnet werden). Eine kleine Nerd-Anmerkungen zum Schluss: Aufgrund der unterschiedlichen Qualität von Herkunfts- und Familiennamen wird in Genetiv-Konstruktionen das markierende „s“ in Kombination mit dem Vornamen an diesen angehängt („Erecs de Lacône Schwert“, nicht: „Erec de Lacônes Schwert“).
Aber zurück zum Inhalt.
Zum Ende hin nicht ganz perfekt
Die Leichtigkeit, die den Roman die gesamte Zeit durchzieht, bildet in seinem letzten Viertel den größten Kritikpunkt. Hier ist es Juliane Stadler nicht gelungen, die unterschiedlichen Figuren und insbesondere Handlungsorte, die sich bis dato aufgetan haben, wieder stringent zusammenzuführen. Das empfanden wir als besonders bedauerlich bei den historisch verbürgten Hauptfiguren des Romanes, Guillaume le Marechál und König Henri, die in ihrer Beziehung untereinander keinen gebührenden Abschluss erhalten.
Dem Lesevergnügen tut das insgesamt gesehen aber keinen großen Abbruch: Wer Lust hat auf einen im besten Sinne leichtfüßigen Abenteuerroman, wer Ritterturnieren, Romanzen und Drama etwas abgewinnen kann und wer sich mal auf ein historisches Setting einlassen möchte, das noch gar nicht so oft verwendet wurde, ist mit „König der Turniere“ bestens beraten! Jedes Kapitel weckt das Interesse auf das nächste und Juliane Stadlers Sprache ist so einladend, dass sich der imaginäre Ritterfilm gleich im Kopf abspielt – wenn das keine guten Voraussetzungen sind für eine Adaption in ein anderes Medium…
Also von uns eine klare Empfehlung! Neugierig geworden? Juliane Stadlers Roman findet ihr beim Piper Verlag und in den Buchhandlungen des Vertrauens.