Warum ›The Last Duel‹ ein großer Mittelalterfilm ist
Mit ›The Last Duel‹ ist dieses Jahr ein weiterer Mittelalterblockbuster unter der Regie von Ridley Scott erschienen, der in den letzten Jahrzehnten die wohl bekanntesten und mit Blick auf die populärkulturellen Inszenierungen des Mittelalters einflussreichsten Historienfilme verantwortete (z. B. ›Königreich der Himmel‹ von 2005 und ›Robin Hood‹ aus dem Jahr 2010). Dabei verpflichtet sich sein neuester Wurf, der Ende des 14. Jahrhunderts spielt und auf die Buchvorlage von Eric Jaeger zurückgeht, weit weniger dem Genre des Abenteuer- und Heldenfilms, sondern erzählt multiperspektivisch die Geschichte von zwei Männern und einer Frau:
Wovon handelt der Spielfilm?
Jean de Carrouges und Jacques Le Gris sind Freunde, die in Schlachten bereits Schulter an Schulter gekämpft haben. Doch ihre Freundschaft zerbricht nach und nach, als Jacques, protegiert vom Grafen Pierre d’Alençon, in Ämter und Würden aufsteigt, die Jean traditionsbedingt für sich beansprucht.
Die Feindschaft zwischen den Männern bricht offen aus, als Marguerite de Carrouges, die Gattin des Ritters Jean, den ehemals besten Freund ihres Mannes der Vergewaltigung beschuldigt. Doch Jacques Le Gris beteuert seine Unschuld. Wer von beiden spricht die Wahrheit?
Um diese ans Licht zu bringen, fordert Jean de Carrouges den Beschuldigten zu einem Zweikampf im Rahmen eines Gottesurteils auf. Der Sieg – so die Vorstellung – wird durch göttlichen Schiedsspruch jenem Kombattanten zuteil, der im Recht ist.
Achtung: Die nachfolgenden Ausführungen enthalten leichte Spoiler!
Die Aktualität des Mittelalters
An die Frage nach der Qualität eines Spielfilms sind in aller Regel auch Fragen nach der Authentizität seiner Darstellung geknüpft: Wie „realistisch“, wie „korrekt“ ist das, was ein Film zeigt, wo liegen künstlerische Freiheiten, wie weit entfernt er sich vom ggf. vorliegenden Quellenmaterial? Nicht selten werden solche Fragen recht oberflächlich an gegenständlichen Darstellungen konkretisiert, die in den Rezensionen natürlich auch für ›The Last Duel‹ insbesondere mit Blick auf die Duellhelme und die Frisur eines der Protagonisten diskutiert wurden (unsere Freunde von Epochentrotter haben den Film auch besprochen).
Viel könnte man dazu schreiben oder sagen, darüber hinaus auch zum düsteren Lichtkonzept des Films, das sich mit der letzten Szene erklärt (und daher nicht vordergründig das „finstere“ Mittelalter inszenieren soll), oder zu „authentischen“ Zitaten aus höfischen Romanen, die wenigstens in der deutschen Synchronisation mehr als seltsam anmuten. Diesen Bereich möchte ich jedoch hier vollständig ausklammern (wer mehr über die Authentizität bei Spielfilmen lesen möchte, kann dies hier tun).
Jean de Carrouges und Jacques Le Gris waren einst gute Freunde – mittlerweile bröckelt die Freundschaft.
Stattdessen möchte ich den inhaltlichen Bereich des Films in den Mittelpunkt rücken, die gesellschaftlichen Verhältnisse, die dazu führen, dass Frauen – gesellschaftlich akzeptiert – (sexuelle) Gewalt angetan werden kann, und deren Darstellung im Hinblick auf die aktuellen Me-Too-Debatten den Film erstaunlich modern wirken lassen. Und hier liegt meines Erachtens eine der großen Stärken von ›The Last Duel‹.
Denn wo sonst moderne, tagesaktuelle Diskussionen und Narrative in ein historisches Setting transferiert werden, wo das Mittelalter also als Projektionsfläche, als Kulisse für deren Ausbreitung genutzt wird (wie etwa in Ridley Scotts ›Königreich der Himmel‹ oder ›Robin Hood‹, die Fragen der interkulturellen Toleranz bzw. der persönlichen / gesellschaftlichen Freiheit diskutieren), ist dies bei ›The Last Duel‹ nicht der Fall – denn dieses hierarchische Beziehungsgeflecht zwischen Mann und Frau mit all seinen Schattenseiten begegnet regelmäßig in einer Vielzahl unterschiedlicher Quellengattungen:
Wenn, um nur wenige Beispiele zu nennen, das lyrische Ich im Minnesang davon berichtet, wie es einer Frau süßen Schmerz bereitet, wenn historiographische Quellen davon berichten, wie adlige Frauen von männlichen Standesgenossen gewaltsam geraubt werden, wenn wie in der Lebensbeschreibung des Guillaume le Maréchal davon berichtet wird, dass Frauen als Turnierpreis ausgelobt werden, wenn der bekannte Dichter und Sänger Oswald von Wolkenstein seine Schwägerin bestehlen und behaupten kann, die Dame selbst habe den entwendeten Schmuck mit ihrem Liebhaber durchgebracht, woraufhin sie im Affekt von ihrem Ehemann beinahe erschlagen wird, dann zeigt dies alles, dass (sexuelle) Gewalt gegen Frauen alltäglich war und in verschiedenen Akzentuierungen schön- und kleingeredet werden konnte.
Alles beginnt mit einem Kuss, der eigentlich die Freundschaft zwischen den Protagonisten Jean und Jacques öffentlich demonstrieren soll. Wieso die beiden Männer sich nicht selbst küssen – ein übliches Friedensritual – muss offen bleiben.
Und genau diese gesellschaftlichen Mechanismen erzählt ›The Last Duel‹ eindrücklich aus: Wie in einen harmlosen, Frieden stiftenden Kuss eine erotische Intention hineininterpretiert wird, wie ein Nein in ein Ja verdreht wird, wie in einer Nacherzählung der Ereignisse aus einer Vergewaltigung ein einvernehmlicher Akt gemacht wird. Genau in diesen Aspekten überzeugt der Film: Nicht aufgrund seiner Alterität, seiner Andersartigkeit zu unserer heutigen Gesellschaft, die in der Rezeption reizvoll sein kann, sondern weil er schonungslos die „Aktualität des Mittelalters“ in diesem Kontext aufzeigt, die uns – erst jüngst etwa mit Blick in die Filmbranche, die Videospielbranche, auf den Springer-Verlag – beinahe tagtäglich gespiegelt wird.
Die beiden Ritter Jean de Carrouges und Jacques Le Gris sind im Spielfilm keine Helden, durch die starken charakterlichen Grauschattierungen aber auch keine klassischen Bösewichte. Sie sind durch ihre Sozialisation selbst Produkt der gesellschaftlichen Umstände, die Gewalt (nicht nur gegen Frauen) hervorbringt und legitimiert. Hier spielt im Film insbesondere die Beziehung zwischen Jacques le Gris und seinem Lehnsherren Pierre d’Alençon eine wichtige Rolle, welche das informelle, zwischenmenschliche Patronagesystem, das je nach Kontext zwischen Vettern- und Günstlingswirtschaft changiert und das wir in den Quellen für den mittelalterlichen Herrscherhof greifen können, anschaulich inszeniert.
Schaden, insbesondere im Hinblick auf das Konzept der Ehre, kann in diesem Kontext nur einem Mann zugefügt werden. Als er von der Vergewaltigung seiner Frau erfährt, ist Jean de Carrouges entsetzt – nicht wegen der Gewalt, die Marguerite erlebt hat, sondern wegen der Ehrverletzung seiner eigenen Person, die mit der „Beschädigung“ seiner Frau einhergeht.
Recht klischeehaft bleibt der Film in der Darstellung des Hochadels. Während Graf Pierre d’Alençon als Figur noch Tiefe erhält, spricht aus dem Königshaus eine in den Wahnsinn driftende Dekadenz. Die Geisteskrankheit Karls VI. wird im Film nicht erwähnt, sodass sich der König für die meisten Rezipienten in die lange Reihe verrückter Könige der Populärkultur einreiht.
Diese gesellschaftlichen und im Letzten rechtlichen Rahmenbedingungen, die in das Gottesurteil durch Zweikampf überleiten, erzählt der Spielfilm pointiert aus. So klagt Marguerite nach der Vergewaltigung, dass sie rechtliche Schritte nur über ihren Ehemann geltend machen könne. Tatsächlich waren Frauen selbst nicht rechtsfähig und standen in der „Munt“ ihres männlichen Vertreters (in der Regel war dies der Vater, später der Ehemann). Offen muss dabei allerdings bleiben, inwiefern Laien diese historischen, nur sehr knapp skizzierten Hintergründe erkennen. Wenigstens erwähnenswert ist, das vergleichbare Konstellationen noch rechtlich anerkannt bis in die 1970er Jahre gelebt wurden, als Männer für ihre Frauen die Berufstätigkeit aufkündigen konnten.
Fazit
Keine populärkulturelle Inszenierung des Mittelalters ist durch die medialen Restriktionen und modernen Sehgewohnheiten „authentisch“, so sehr sie sich im Detail bemüht oder vorgibt, es zu sein. Was aber mit ›The Last Duel‹ vorliegt, ist ein Spielfilm, der losgelöst von Detaildiskussionen über die Authentizität von Kriegsausrüstung, Kleidung etc., bedeutende, in Quellen greifbare gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Lebenswirklichkeiten inszeniert und damit in mentalitäts- und kulturgeschichtlicher Perspektive im Bereich der populärkulturellen Darstellung des Mittelalters einen Beitrag leistet, den es in diesem Feld bislang so nur in Ansätzen gegeben hat. Damit kann ›The Last Duel‹ – jedenfalls für die Schwerpunkthemen, die der Film sich selbst setzt – für ein nichtakademisches Publikum zu einem vertieften Verständnis der Epoche führen und eignet sich durchaus für eine kontextualisierte Diskussion im Oberstufenunterricht.
Dass in diesem Kontext die Wege vom „finsteren“ Mittelalter in unsere Zeit hinein sehr kurz sind, mag erschreckend sein, zeigt aber auch, dass es trotz allen tatsächlichen und postulierten Fortschritts Bereiche in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben gibt, die mitunter noch genauso funktionieren wie vor 500 oder 1.000 Jahren – und deren gesamtgesellschaftliche Diskussion, insbesondere dort, wo Menschen zu Schaden kommen und wir den Anspruch haben, echten Fortschritt anzustreben, weiterhin dringlich geführt werden sollten.